Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s130.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Solch verräterisches Treiben kann die provisorische Regierung nicht dulden. Im Namen der provisorischen Regierung habe ich Sie verhaftet. Sie müssen mit. Machen Sie keine Umstände. Ihr Haus ist von Soldaten umzingelt. Zwingen Sie mich nicht, Gewalt zu brauchen!“

„Gewalt! Das möchte ich sehn!“ rief er, und in seinen Augen flammte etwas auf wie Zorn und Herausforderung. Aber er bezwang sich und fuhr in ernstem, aber ruhigem Ton fort: „So große Eile hat es doch wohl nicht, daß Sie nicht noch ein Wort anhören könnten. Da kommt das Mädchen mit dem Wein, und wenn ich doch fort muß, erlauben Sie mir noch ein Glas mit Ihnen zu trinken, auf Ihr Wohl. Es ist ja richtig; ich habe meine armen Bauernburschen nicht in die Volkswehr wollen eintreten lassen, um sich für nichts und wieder nichts totschießen zu lassen. Sie denken doch auch nicht, daß dieser kopflose Aufstand gewinnen kann. In wenigen Tagen werden die Preußen Ihre provisorische Regierung über die Grenze gejagt haben. Wozu denn dieser Unsinn, der noch vielen Leuten das Leben kosten kann?“ Dabei zog er den Pfropfen aus der Flasche und schenkte zwei Gläser voll. Ich hatte nicht Zeit zu überlegen, ob ich, durstig wie ich war, mit meinem Gefangenen trinken sollte oder nicht, als ich die Glocke des nahen Kirchturms heftig anschlagen hörte, und dann immer heftiger und rascher. Das konnte nichts anderes sein als Sturmgeläute. Hatten die Bauern von der ihrem Pastor drohenden Gefahr Wind bekommen und rief diese Sturmglocke sie zu seinem Schutze zusammen? Der Pfarrer schien die Sache sogleich zu verstehen. Ein schlaues Lächeln flog über seine Züge.

„Wie viel Mann haben Sie denn da draußen?“ fragte er.

„Genug“, antwortete ich.

Ich öffnete das Fenster und sah, wie von allen Seiten Bauern herbeikamen mit Dreschflegeln, Heugabeln und Knütteln bewaffnet. Meine Leute standen noch in Reih und Glied auf der Straße. Einige von ihnen fingen an, sich ein wenig ängstlich nach den herbeieilenden Bauern umzusehen. Ich befahl dem Leutnant, unsere Mannschaft mit dem Rücken gegen das Haus zu stellen und niemanden herein zu lassen. Im Falle eines Angriffs solle er die Tür bis aufs äußerste verteidigen. Ich wies ihn an, denselben Befehl den Leuten zu schicken, welche die Hintertür des Pfarrhauses bewachten. Die Menge der herzueilenden Bauern schwoll immer mehr an. Drohende Ausrufe ließen sich hören. Die Situation wurde offenbar bedenklich. Ob die Handvoll Volkswehrleute dem großen Haufen fanatischer Bauern gewachsen sein würde, schien sehr fraglich.

Der Pfarrer lächelte noch immer. „Meine Pfarrkinder lassen sich für mich totschlagen“, sagte er. „Es scheint mir, daß Ihre bewaffnete Macht in der Gewalt dieser Bauern ist.“

Da schoß mir ein glücklicher Gedanke durch den Kopf. „Jedenfalls sind Sie, Herr Pastor, in meiner Gewalt“, antwortete ich, indem ich meine Pistole aus dem Gürtel zog und den Hahn spannte. Der Pfarrer würde noch mehr gelächelt haben, hätte er gewußt, daß die Pistole nicht geladen war. Er hielt sie offenbar für gefährlich und sein Lächeln verschwand plötzlich. „Was wollen Sie von mir?“ fragte er.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s130.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2021)