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und „gegen gewaltsame Angriffe auf die Reichsverfassung in der Pfalz äußersten Falls selbständig einzuschreiten“. Damit war nun dem Erzherzog-Reichsverweser keineswegs gedient.

Der Erzherzog Johann war ursprünglich dadurch, daß er eine „Bürgerliche“ geheiratet, und daß er sich auch durch politisch freisinnige Äußerungen bei dem österreichischen Hofe mißliebig gemacht, in den Geruch liberaler Gesinnungen gekommen und bei dem großen Publikum populär geworden. Dies hatte ihm im Jahre 1848 die Wahl zum Amt des Reichsverwesers eingetragen. Es war nun nicht unnatürlich, daß ihn darauf der Wunsch und die Hoffnung erfaßte, er möge selbst die deutsche Kaiserkrone empfangen. Die Wahl des Königs von Preußen enttäuschte ihn gewaltig, und er machte seinem Unmut dadurch Luft, daß er dem Präsidium des Nationalparlaments sofort seine Abdankung von dem Reichsverweseramte ankündigte. Doch ließ er sich überreden, diese Abdankung vorläufig zurückzuhalten, und er tat dies denn auch um so williger, als er von dem österreichischen Hofe die dringende Weisung empfing, ein so wichtiges Amt, solange es bestehe, nicht fahren zu lassen, da er darin den dynastischen Interessen Österreichs sehr wichtige Dienste leisten könne. Das dynastische Interesse Österreichs wurde aber damals so verstanden, daß unter keiner Bedingung ein König von Preußen deutscher Kaiser werden, und daß überhaupt keine Konstituierung des deutschen Reichs, in der nicht die österreichische Gesamtmacht Platz fände und die Führerrolle spielte, zustandekommen dürfe. Die vom Nationalparlament gemachte Reichsverfassung war also dem österreichischen Hofe ein Greuel und ihre Einführung mußte mit allen Mitteln verhindert werden. Nun mag der Liberalismus des Erzherzogs Johann ursprünglich immer so echt gewesen sein – gewiß ist, daß ihm das monarchische Interesse im allgemeinen und das österreichische im besonderen viel mehr am Herzen lag als die Reichsverfassung und die deutsche Einheit.

Da stellte sich denn folgende wahrhaft groteske Lage der Dinge heraus: Das deutsche Nationalparlament hatte sich in der „provisorischen Zentralgewalt“, an deren Spitze der Reichsverweser Erzherzog Johann gestellt worden war, ein exekutives Organ gegeben, um seinem Willen Achtung zu verschaffen und seine Beschlüsse praktisch durchzuführen. Die bei weitem wichtigste seiner Willensäußerung bestand in der von ihm gemachten deutschen Reichsverfassung und der Wahl des Königs von Preußen als deutscher Kaiser. Der König von Preußen weigerte sich die Reichsverfassung als zu Recht bestehend anzuerkennen und die auf ihn gefallene Kaiserwahl anzunehmen. Das Nationalparlament forderte darauf nicht nur alle deutschen Regierungen, sondern auch die gesetzgebenden Körper und die Gemeinden der deutschen Einzelstaaten, ja das ganze deutsche Volk auf, die Reichsverfassung zur Anerkennung und Geltung zu bringen. Das Volk der Pfalz tat genau das, wozu das Nationalparlament das deutsche Volk aufforderte. Es stand für die Reichsverfassung auf gegen den König von Bayern, welcher der Reichsverfassung seine Anerkennung versagte. Ein von der Reichszentralgewalt in die Pfalz geschickter Reichskommissar fühlte sich durch eine Loyalität dem Nationalparlament gegenüber und durch die Logik

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s123.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)