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fand, daß die Gäste im Wirtshaus ruhig frühstückten wie sonst. Ich hörte sagen, daß der Sohn des Schwanenwirts dieser Tage seine Hochzeit feiern werde, und daß große Vorbereitungen im Gange seien. Auf den Straßen ging es allerdings recht lebhaft zu – hier Leute, die ihre gewöhnlichen Geschäfte zu besorgen schienen, da Trupps von jungen Männern in bürgerlicher Kleidung mit Musketen auf den Schultern, die offenbar zu der in der Bildung begriffenen Volkswehr gehörten; dazwischen Soldaten in der bayerischen Uniform, die zum Volk übergegangen waren – und sogar Polizisten, leibhaftige Gendarmen in ihrer Amtstracht, mit dem Säbel an der Seite und augenscheinlich in der Ausübung der gewöhnlichen Funktionen des Sicherheitsdienstes. Nun waren meinem von Rheinpreußen hergebrachten Gefühl die Begriffe „Gendarm“ und „Freiheit“ unvereinbar, und es kostete dem Schwanenwirt einige Mühe, mich verstehen zu machen, daß diese Gendarmen sich auf die Reichsverfassung hätten einschwören lassen, nun der provisorischen Regierung dienten und überhaupt ganz gute Kerle seien. Überhaupt fand ich, obgleich unzweifelhaft die Führer ihre sehr sorgenvollen Stunden hatten, die Bevölkerung im ganzen in einer in hohem Grade gemütlich heiteren Stimmung, den Reiz des Augenblicks rückhaltlos genießend, scheinbar ohne sich viel mit dem Gedanken an das zu quälen, was der kommende Tag bringen werde. Das war eine allgemeine Sonntagsnachmittagslaune, ein wahrer Picknickhumor – äußerst liebenswürdig, aber wenig mit dem Bilde übereinstimmend, das ich mir von dem Ernst dieser revolutionären Situation gemacht hatte. Bald erkannte ich, daß diese fröhlich leichte Auffassung der Dinge mit dem des pfälzischen Volkscharakters wohl übereinstimmte.

Die Rheinpfalz ist ein von der Natur außerordentlich gesegnetes Ländchen, dessen landschaftliche Schönheit und dessen Erzeugnisreichtum wohl geeignet sind, in seiner Bevölkerung einen heiteren, lebenslustigen Sinn zu nähren. Diesen haben nun auch die Pfälzer seit Menschengedenken in hohem Grade besessen und gepflegt. Dazu sind sie ein intelligentes und leicht erregbares Völkchen, gutherzig und enthusiastisch, selbstbewußt und vielleicht auch ein wenig oppositionslustig. Wirklich arme Leute – Leute, denen das Nötige fehlte – gab es, damals wenigstens, einen kleinen Landesteil abgerechnet, in der Pfalz nur in sehr geringer Anzahl. Es war also keineswegs die Not, was die Pfälzer zum Revolutionieren erregte. Bei dem großen Völkerschacher auf dem Wiener Kongreß nach den napoleonischen Kriegen war die Rheinpfalz an das Königreich Bayern gefallen. Aber wie sie geographisch nicht mit Altbayern zusammenhing, so hatte sich dort auch kein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Königreich entwickeln wollen. Ein wirklicher bayerischer Patriotismus wollte in der Pfalz nicht wachsen. Als nun die bayerische Regierung auch altbayerische Beamte in die Pfalz schickte, um die Pfälzer regieren zu helfen, wurden die gegenseitigen Beziehungen noch unfreundlicher. Die „hungrigen Altbayern“, hieß es, würden nach der reichen Pfalz geschickt, um sich füttern zu lassen. Das Verhältnis war demjenigen, das zwischen der preußischen Rheinprovinz und Altpreußen bestanden hatte, nicht unähnlich. Die Pfälzer waren daher in beständiger Opposition gegen Altbayern, und diese Opposition würde

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s121.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)