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Redner sprachen zu ihnen, alle in demselben Sinne und, wie es schien, mit derselben Wirkung. Es war unter uns beschlossen, den Schlag gegen das Zeughaus in Siegburg noch diese Nacht zu führen und so die von der Regierung beabsichtigte Bewaffnung der Landwehrleute selbst zu übernehmen. Zu diesem Zwecke mußten die Leute während des Tages zusammengehalten werden, um in möglichst großer Zahl an dem nächtlichen Zuge nach Siegburg teilzunehmen.

Die Leute zusammenzuhalten, war nicht leicht. Etwas Geld war aufgebracht worden, um sie während des Tages zu speisen. Aber das allein genügte nicht. Kinkel, nachdem er noch seine letzte Vorlesung in der Universität gehalten hatte, sprach nachmittags um 4 Uhr zu der Versammlung im Römer. Mit glühenden Worten fachte er die patriotischen Gefühle seiner Zuhörer an, ermahnte sie dringend zusammenzubleiben, da jetzt die Stunde des entscheidenden Handelns gekommen sei, und versprach ihnen am Schluß seiner Rede, bald wieder unter ihnen zu erscheinen, um im Augenblick der Gefahr ihr Schicksal mit ihnen zu teilen.

Ich brachte einen Teil des Tages in der Versammlung zu, den größeren aber im Exekutivkomitee, oder, wie es genannt wurde, im „Direktorium“ des demokratischen Vereins, das in einer Hinterstube der Kammschen Wirtschaft in Permanenz saß. Dort empfing es die laufenden Berichte von Elberfeld und von den demokratischen Vereinen der Umgegend über deren Aktionsbereitschaft, und dort wurden die Anordnungen für den Marsch nach dem Siegburger Zeughause in der kommenden Nacht festgestellt und die Rollen verteilt. Kinkel und Unger sollten die Landwehrleute und andere, die an der Expedition teilzunehmen bereit waren, zusammenhalten und, so gut es ging, organisieren, um sie dann unter Annekes militärischem Kommando über den Rhein zu bringen, während Kamm, Ludwig Meyer, ich und noch ein anderer Student dafür sorgen sollten, daß die Fähre, oder „fliegende Brücke“, die gewöhnlich des Nachts auf der anderen Rheinseite bei dem Dorfe Beuel festlag, unserm Unternehmen rechtzeitig zu Dienst sei.

Es gab den ganzen Tag des geschäftigen Hin- und Herrennens so viel, daß manche der Einzelheiten mir nicht mehr ganz klar im Gedächtnisse stehen. Ich erinnere mich jedoch lebhaft genug, daß, so oft ich auf der Straße erschien, ich von Freunden unter den Studenten festgehalten und gefragt wurde, was im Winde sei, und ob sie mitmarschieren sollten, und daß ich ihnen sagte, für was ich selbst mich entschlossen hätte in dieser großen Krisis zu tun, und daß jeder von ihnen seine Entschlüsse ebenfalls auf eigene Verantwortung fassen müsse. Nach den fieberhaften Aufregungen der letzten Tage war ich zu der desperaten Fassung gekommen, die zu dem äußersten bereit ist. Es war mir klar, daß, wenn irgendwelche der Früchte der Revolution gerettet werden sollten, jetzt alles gewagt werden müsse. In diesem Sinne sprach ich zu meinen Freunden, ohne weitere Versuche der Überredung.

Sehr lebhaft erinnere ich mich auch, wie ich bei dem letzten Abenddämmerlicht nach Hause ging, um meinen Eltern zu sagen, was geschehen werde, und was ich für meine Pflicht halte, um dann von den Meinigen Abschied zu nehmen. Seit dem Ausbruch der Revolution

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s115.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)