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zumute war. Von allen Seiten kamen aufregende Nachrichten. In Köln herrschte drohende Gärung. In den Wirtshäusern und auf den Straßen erklang die Marseillaise, die damals noch in ganz Europa als die allgemeine Freiheitshymne galt. Auf dem Domhof und dem Altenmarkt wurden große Versammlungen gehalten, um die Forderungen des Volkes zu beraten. Eine zahlreiche Deputation mit dem ehemaligen Artillerieleutnant August von Willich an der Spitze drang in den Saal des Stadtrats, von diesem verlangend, daß die Munizipalbehörde die in der Versammlung formulierten Forderungen des Volkes als ihre eigenen an den König befördere. Der Generalmarsch wurde geschlagen, das Militär schritt gegen die Volkshaufen ein, und Willich sowie ein anderer früherer Artillerieleutnant, Fritz Anneke, wurden verhaftet. Darauf immer größere Aufregung. Die rheinischen Mitglieder des Vereinigten Landtages beschworen den Oberpräsidenten der Provinz, dem König die sofortige Bewilligung der Forderungen des Volkes als das einzige Rettungsmittel vor blutigen Konflikten vorzustellen. In Koblenz, Düsseldorf, Aachen, Krefeld, Kleve und anderen rheinischen Städten fanden ähnliche Demonstrationen statt. In Süddeutschland – Baden, Rheinhessen, Nassau, Württemberg, Bayern – flammte der Geist der neuen Zeit wie ein Lauffeuer auf. In Baden bewilligte der Großherzog schon Anfang März alles Verlangte. In Württemberg, Nassau und Hessen-Darmstadt erlangte man dieselben Zusicherungen fast ebenso schnell. In Bayern, wo schon vor der französischen Februarrevolution die berüchtigte Lola Montez dem Zorn des Volkes hatte weichen müssen, folgte nun ein Auflauf dem andern, um den König Ludwig zu liberalen Zugeständnissen zu treiben. Der Kurfürst von Hessen-Kassel gab nach, als das Volk sich bewaffnet hatte und zur Empörung sich bereit zeigte. Die Gießener Studenten sagten bereitwillig den aufständischen Hessen ihre Hülfe zu. In Sachsen erzwang die trotzige Haltung der Bürgerschaft von Leipzig unter Robert Blums Führung das Nachgeben des Königs. Von Wien kam große Kunde. Die Studenten der Universität waren es dort, die den Kaiser von Österreich zuerst mit freiheitlichen Forderungen bestürmten. Blut floß, und der Sturz Metternichs war die Folge. Die Studenten organisierten sich als die bewaffnete Garde der Volksrechte. In den großen Städten Preußens war eine gewaltige Regung. Nicht allein Köln, Koblenz und Trier, sondern auch Breslau, Königsberg und Frankfurt a. O. sandten Deputationen nach Berlin, um den König zu bestürmen. In der preußischen Hauptstadt wogte das Volk auf den Straßen, und man sah entscheidungsvollen Ereignissen entgegen.

Während all diese Nachrichten wie ein gewaltiger von allen Seiten zugleich brausender Sturm auf uns hereinbrachen, war man in der kleinen Universitätsstadt Bonn auch eifrig damit beschäftigt, Adressen an den König abzufassen, sie zahlreich zu unterzeichnen und nach Berlin zu schicken. Am 18. März hatten auch wir unsere Massendemonstration. Eine große Volksmenge sammelte sich zu einem feierlichen Zuge durch die Straßen der Stadt. Die angesehensten Bürger, nicht wenige Professoren, eine Menge Studenten und eine große Zahl von Handwerkern und anderen Arbeitern marschierten in Reih und Glied. An der Spitze

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 078. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s078.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)