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Eine gute Kneipzeitung zu schreiben, war Gegenstand besondern Ehrgeizes, und nicht selten wurde auf diesem Felde recht Anerkennenswertes geleistet. Es machte sich ganz von selbst, daß ich als still zuschauender Mitbummler die Eigentümlichkeiten meiner neuen Freunde studierte, und ich schrieb dann eine Parodie von Auerbachs Kellerszene im Faust, in welcher ich die hervorragendsten Leute der Frankonia als handelnde Personen vorführte. Das Reimen wurde mir leicht, die Verse flossen bequem und nicht unmusikalisch, die Satire war gutmütig, aber treffend. Meinem Freunde Petrasch teilte ich mein Machwerk im Vertrauen mit. Er jauchzte vor Vergnügen und meinte, besseres sei in dieser Art noch selten geleistet worden. Das glaubte ich ihm nicht, und um keinen Preis hätte ich seinem Drängen nachgegeben, daß ich meine Arbeit bei dem nächsten Kneipabend vorlesen solle. Dann erbot er sich, die Vorlesung selbst zu übernehmen, und dieses gestattete ich nun unter der Bedingung, daß ich nicht als Verfasser genannt werde. Er versprach alles. Mein Herz klopfte mir bis in die Kehle, als ich die Vorlesungen mit anhörte, und ich fühlte mein Erröten, als eins übers andere mal die Gesellschaft in Gelächter und Beifall ausbrach. Der Erfolg war durchschlagend. Den Verfasser erklärte Petrasch nicht nennen zu dürfen, aber damit gab sich die Gesellschaft nicht zufrieden. An mich schien niemand zu denken. Petrasch, der auf meine Leistung so stolz war, als wäre sie seine eigene gewesen, winkte mir über den Tisch zu und flüsterte hörbar: „Darf ich es nicht sagen?“ Dies allein würde das Rätsel gelöst haben, hätte nicht ein anderes Mitglied der Gesellschaft das Manuskript erblickt und meine Handschrift erkannt. Nun gab es großen Jubel. Von allen Seiten stürzte man auf mich ein; des Umarmens war kein Ende, und Petrasch rief immer wieder: „Habe ich es Euch nicht gesagt?“

Das Verschwinden meiner anderen dichterischen Erzeugnisse aus jener Zeit ist mir eine Beruhigung. Aber ich gestehe, diese „Kneipzeitung“ möchte ich gern noch einmal wiedersehen, denn sie hat mir zur Zeit einen unschätzbaren Dienst geleistet. Ihr Erfolg weckte mein Selbstvertrauen. Sie machte den befangenen Landjungen, der auf dem besten Wege war, eine lächerliche Figur zu spielen, plötzlich zu einer sehr respektierten Person in seiner Umgebung. Meine Schüchternheit im Verkehr mit den neuen Kameraden hörte bald auf, meine Zunge zu lähmen, und es bildeten sich höchst angenehme und förderliche Freundschaftsverhältnisse, von denen später noch die Rede sein wird. Viel Zeit konnte ich allerdings meinen Freunden während jenes ersten Universitätsjahres nicht widmen, denn das noch zu bestehende Maturitätsexamen, von dem meine ganze Zukunft abhing, schwebte wie ein drohendes Gespenst vor mir und ließ mir keine Ruhe. Neben den geschichtlichen und philologischen Vorlesungen, die ich bei Aschbach und Ritschl hörte, hatte ich mir alles, was in der Oberprima gelehrt wurde, im Wege des Selbstunterrichts anzueignen; und mit Ausnahme der Mathematik und der Naturwissenschaften gelang mir dies, allerdings mit vieler Arbeit, aber doch ohne wesentliche Schwierigkeiten. Endlich, im September 1847, kam die gefürchtete Krisis, und ich reiste nach Köln, von den angstvollen Gebeten meiner Familie und den wärmsten Wünschen meiner Freunde begleitet. Alles ging vortrefflich. Auch begünstigte mich das

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 062. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s062.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)