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selbst warf die Frage auf, ob es ihnen möglich sein werde, mich länger im Gymnasium zu halten. Diese Frage wurde dadurch entschieden, daß ich mir ein Stipendium erwirkte, das einen großen Teil der Kosten meines Aufenthaltes in Köln deckte, und daß ich den Rest durch Privatstunden erwarb, die ich Schülern in den unteren Klassen des Gymnasiums gab. Dies unternahm ich mit großem Eifer und nicht ohne Erfolg. Freilich bezahlten mir die meisten meiner Schüler nur 2½ Silbergroschen die Stunde; fünf Groschen die Stunde sah ich für ein sehr schönes Honorar an. So arbeitete ich mich bis in die Unterprima durch.

Nun trat in der Lage meiner Eltern plötzlich eine hoffnungsvolle Änderung ein. Mein Vater fand Gelegenheit, das Eigentum in Liblar, Haus, Garten und Saalbau um einen Preis zu verkaufen, der ihn in den Stand setzen würde, seine Verbindlichkeiten zu decken und noch etwas für die Gründung einer neuen Existenz übrig zu behalten. Sobald der Verkauf abgeschlossen war, zog er mit der Familie nach Bonn, wo ich in Jahresfrist, nachdem ich das Gymnasium absolviert, die Universität beziehen sollte. In Bonn kam er durch ein Arrangement mit einem alten Bekannten in Besitz eines geräumigen Hauses, dessen unterer Teil als ein Restaurant mit Mittagstisch für Studenten diente, während in den obern Stockwerken mehrere Zimmer vermietet wurden. Mein Freund Petrasch, der unterdessen zur Universität gegangen war, bezog eines derselben. Alles ließ sich befriedigend an.

Aber unsere Lage verdunkelte sich wieder in erschreckender Weise. Der Käufer des Eigentums in Liblar, mit dem, wie es schien, mein Vater sich nicht gehörig vorgesehen, und der bei dem Abschluß des Kaufes nur eine geringe Anzahlung geleistet hatte, erklärte plötzlich, daß ihm der Kauf leid geworden sei, und daß er die bereits erlegte kleine Summe aufgeben, aber keine weitere Zahlung machen werde. Das war ein harter Schlag. Mein Vater versuchte, den Käufer gerichtlich an seinen Kontrakt zu halten, doch das war eine langwierige und unsichere Sache. Ein anderer Käufer fand sich nicht. Nach Liblar zurückgehn konnte mein Vater auch nicht, da er nun in Bonn gebunden war. Nun begannen die Wechsel fällig zu werden, die er im Vertrauen auf das Eingehen der Kaufsumme seinen Gläubigern gegeben hatte. Er konnte seine Versprechen nicht einhalten; die Wechsel wurden protestiert, und plötzlich empfing ich in Köln die Nachricht, daß einige der Gläubiger zur Erzwingung der Zahlung meinen Vater hatten ins Schuldgefängnis sperren lassen. Das traf mich wie ein Donnerschlag. Ich lief nach dem Gefängnis und sah meinen Vater hinter einem Gitter. Es war eine erschütternde Begegnung, aber wir sprachen uns gegenseitig Mut zu. Er setzte mir seine Umstände auseinander, und wir überlegten, was wohl getan werden könnte, um ihn aus dieser demütigenden und für unsere Familie so entsetzlichen Lage zu befreien.

Ich war siebzehn Jahre alt und sollte in die Oberprima gehn. Aber nun war es mit meinem Verbleiben in Köln zu Ende. Ich nahm also von meinen Lehrern und Freunden einen eiligen Abschied und widmete mich ganz den Angelegenheiten der Familie. Meine Oheime wollten gern nach Kräften helfen, aber sie selbst steckten in den schwersten

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 058. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s058.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)