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Jülich, hatte allerdings mehrere der Eigenschaften, deren ein Kaufmann bedarf. Er war in allen Dingen gewissenhaft, ordentlich und exakt. Aber der sichere Blick in der Berechnung des Vorteils, der Instinkt des Händlers fehlten auch ihm. Ebensowenig war mein Vater ein guter Geschäftsmann. Er interessierte sich viel mehr für das, was er in seinen populär-naturwissenschaftlichen Werken fand, als für die Dinge, die seine Geschäftsbücher füllen sollten. Es schien ihm unmöglich zu sein, die allernötigste Ordnung in seinen Papieren zu halten. In unserm Wohnzimmer stand ein Pult mit einem Klappdeckel, in dem er seine Rechnungen, Quittungen, Geschäftsbriefe usw. aufbewahrte. Ich erinnere mich, ihn oft gesehen zu haben, wie er an diesem Pult arbeitete mit einem verworrenen Haufen von Papieren vor sich, wie sein Gesicht einen immer hülfloseren und ungeduldigeren Ausdruck annahm, und wie er dann plötzlich aufstand und die Papiere in ihrem wilden Durcheinander mit seinem Ellbogen in das Innere des Pultes zurückschob, um den Deckel schließen zu können. Und diese Untugend fürchte ich, habe ich von meinem Vater geerbt, denn es ist immer darüber geklagt worden, daß es auf meinem Schreibtisch wüst aussehe.

Die gegenseitigen Hülfeleistungen brachten nach und nach unter den Brüdern und Schwägern so große Verwirrung hervor, daß endlich keiner von ihnen mehr genau wußte, wie seine eigenen Angelegenheiten standen. Um in diese Konfusion Licht zu bringen, versammelten sie sich zuweilen, mit dem Vorsatz, nur von Geschäften zu sprechen, bis alles in übersichtliche und befriedigende Ordnung gebracht sein würde. Dabei hätte nun freilich manches gesagt werden müssen, was dem einen oder dem anderen hätte unangenehm sein können, – und davor scheute sich jeder. So begannen sie denn damit, sich zusammen zu Tisch zu setzen und sich gegenseitig an die köstlichen Tage zu erinnern, die sie miteinander verlebt, und an die tollen Streiche, die sie zusammen ausgeführt. Allmählich wurde dann aus der beabsichtigten Geschäftskonferenz ein Familienfest der heitersten Art. Sie aßen und tranken und freuten sich so herzlich miteinander, daß es gar zu schade gewesen wäre, die Gemütlichkeit durch die Erwähnung unangenehmer Dinge zu stören. Nachdem dies einige Tage so fortgegangen war, erinnerten sie sich, daß es nun für die von auswärts hergekommenen Zeit sei, nach Hause zu reisen. Dann nahmen sie rührenden Abschied, küßten einander, weinten auch wohl gar ob der Trennung und gingen jeder seines Weges, ohne daß von den bösen Geschäften, wegen deren sie sich versammelt, auch nur einen Augenblick die Rede gewesen wäre. Natürlich gerieten ihre Angelegenheiten so in einen immer heilloseren Zustand, und einige gewagte Getreidespekulationen, die alles wieder gutmachen sollen, aber wie gewöhnlich fehlschlugen, dienten nur dazu, die Lage noch bedeutend zu verschlimmern.

Mein Vater war an diesen Spekulationen zwar nur indirekt beteiligt, aber doch genug, um in die daraus entstehenden Schwierigkeiten verwickelt zu werden. Obgleich ich mit diesen Dingen möglichst wenig behelligt wurde und die Jugend sie ja auch gewöhnlich leicht nimmt, so entging es mir doch nicht, daß meine Eltern zuweilen in drückender Sorge waren, und ich fing an, diese Sorge ernstlich zu teilen. Ich

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 057. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s057.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)