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Neid, gepaart mit solchen Wünschen, jene scheelsüchtige Mißgunst, die andern das, was sie besitzen, nicht gönnen will und ihnen dessen Genuß verderben oder zerstören möchte. Eine lange Erfahrung hat mir die Überzeugung gegeben, daß das wahrste, schönste Glück der Menschenseele in der Freude an dem Glück anderer besteht. Der Neidische aber sucht sein eigenes Glück darin, andere ihres Glückes beraubt zu sehen. Das ist von allen denkbaren Gemütsverfassungen die elendeste.

Die Erziehung kann jungen Leuten kaum einen größeren Dienst erweisen, als, indem sie lehrt, ihre Vergnügungen vom Gelde unabhängig zu machen. Dies ist viel leichter, als man gewöhnlich glaubt; man braucht nur von den Genüssen, die fast jede Umgebung bietet, diejenigen recht würdigen zu lernen, die nichts kosten. Auf diese Weise entdeckt man den wahren Genußreichtum des Lebens, welcher dem Reichen, der sich seine Genüsse zu kaufen gewohnt ist, oft zum großen Teil verborgen bleibt. Obgleich ich als Knabe nur äußerst beschränkte Mittel aufzuwenden hatte, waren meine Kunstgenüsse doch keineswegs gering. Von meinen Theaterbesuchen, die, wenn auch sehr selten und nicht kostspielig, doch die Grenze meiner finanziellen Kräfte berührten, habe ich schon gesprochen. Kaum geringere Freude machten mir andere Dinge, die sich mir frei boten. Sonntags morgens pflegte ich mich in der Wallraffschen Gemäldesammlung umzusehen, die damals in einem kleinen alten Gebäude auf der Trankgasse aufgestellt war. Einige Zimmer waren mit Bildern der alten kölnische Schule gefüllt, die mich, obgleich ich ihren kunstgeschichtlichen Wert nicht zu schätzen wußte, durch ihre Farbenpracht und die Naivetät der Darstellung anzogen. Eines „jüngsten Gerichts“ erinnere ich mich besonders, in welchem das grausam-heitere Grinsen einer Anzahl roter, blauer und grüner Teufel von phantastisch gräulicher Gestalt mich höchlich belustigten. Auch moderne Bilder gab es dort, darunter einige von bedeutendem Wert. Vor Bendemanns „trauernden Juden an den Wassern von Babylon“, einem berühmten Erzeugnis des Düsseldorfer Meisters, habe ich manche halbe Stunde in träumerischer Betrachtung gestanden. Wie das wohl immer der Fall ist, zog den Knaben zuerst das Gegenständliche des Gemäldes an, bis oft wiederholtes Anschauen die kritische Unterscheidung weckte und den Geschmack zu bilden begann.

Ebensowenig fehlte es an musikalischen Genüssen. Sonntags morgens fand im Dom die sogenannte „musikalische Hochmesse“ statt, bei der nicht selten auch der Erzbischof fungierte und der katholische Kultus seine ganze Pracht zur Schau stellte. Der Hauptreiz der Handlung, der außer dem frommen auch das kunstsinnige Publikum zuströmte, bestand jedoch in ihrem musikalischen Teil. Gewöhnlich wurde von einem vollständigen Orchester und ausgewählten Singstimmen eine Messe irgend eines bedeutenden Komponisten aufgeführt. Diese Aufführungen waren von eigentümlich wundersamer Wirkung. Ich habe schon erwähnt, wie ruinenhaft zu jener Zeit der Dom in seinem Äußern erschien. Das Innere entsprach zum großen Teil der äußeren Erscheinung. Wer durch das verwitterte Portal zwischen den Turmstumpfen in das Mittelschiff eintrat, der sah in einiger Entfernung vor sich eine kahle, graue Wand, die, unmittelbar jenseits des Kreuzschiffes zwischen

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 051. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s051.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)