Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s043.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wenn ich mir einige Freiheiten mit der Geschichte erlaubte, wie dramatische Dichter das zu tun pflegen, sich diesem Stoffe wohl ein tragisches Interesse geben ließe, – eine menschliche Leidenschaft auf dem Thron im Kampf mit der sich die politische Gewalt anmaßenden Kirche. So ging denn der Quartaner kühn und frisch ans Werk. Natürlich wurde aus der Tragödie nicht viel. Aber indem ich den Plan und eine Reihe von Szenen ausarbeitete, genoß ich doch die ganze Wonne der Schaffenslust. Wer diese Wonne nie genossen hat, der kennt nicht eine der schönsten Freuden des Lebens.

Auch lyrische Gedichte schrieb ich, und daneben eine Ballade. Zu dem Balladenstoff war ich auf folgende Weise gekommen: In der Nähe der Burg bei Liblar befand sich ein von einer Gruppe hoher Bäume beschattetes verfallenes Gemäuer. Zu welchem Zwecke es früher gedient haben mochte, wußte mir niemand zu sagen. Der Platz selbst hatte für mich immer etwas Unheimliches gehabt, und ich stellte mir in meiner Einbildung allerlei Dinge vor, die dort geschehen sein konnten. So entstand denn eine wild romantische Geschichte von einem Zwinger, in dem in grauer Vorzeit die Ritter von der Gracht wilde Tiere gehalten, und, wenn ich mich recht erinnere, von einer edlen Jungfrau, die auf irgend eine Weise in den Zwinger hineingeraten und von einem Edelknaben gerettet worden sei usw. Diese Geschichte brachte ich in hochtönende achtzeilige Stanzen, die mir so prachtvoll klangen, daß ich mich nicht enthalten konnte, das Gedicht meinem Vater nach Liblar zu schicken. Als mein Vater fand, daß es sich darin um alte Ritter von der Gracht handelte, hatte er in seinem Stolz auf die Leistung seines Sohnes nichts Eiligeres zu tun, als dem Grafen Metternich zur Gracht mein Machwerk mitzuteilen. Der Graf, der sich wohl auf Poesie nicht sehr verstand, meinte, das Gedicht sei recht schön, aber von dieser Geschichte habe er nie das geringste gehört – was mich gar nicht wunderte.

Auch in Prosa versuchte ich mich weit über die Grenzen der Schularbeit hinaus, und als ich einmal einen Aufsatz über Schillers Jungfrau von Orleans geschrieben hatte, der mir selbst besonders gut gefiel, erfaßte mich der ehrgeizige Wunsch, denselben gedruckt zu sehen. Ich fertigte also eine saubere Abschrift an und gab sie im Bureau der Kölnischen Zeitung ab mit einem Brief an Herrn Levin Schücking, den bekannten Novellisten, damaligen Redakteur des Feuilletons jenes Blattes, – in dem ich um Erlaubnis bat, mich persönlich vorzustellen. Ich empfing eine höfliche Antwort, die mir Tag und Stunde für meinen Besuch angab, und bald stand ich mit lautem Herzklopfen an der Tür des großen Mannes, der, wie ich glaubte, meine schriftstellerische Zukunft in seiner Hand hielt. Ich fand in Herrn Schücking einen freundlichen Mann mit angenehmen Gesichtszügen und großen, blauen, sanften, beruhigenden Augen. Er empfing mich recht wohlwollend, sprach mit mir über allerlei und gab mir zuletzt mein Manuskript zurück mit der Bemerkung, daß der Aufsatz viel Gutes enthalte, daß ich ihn aber doch lieber als eine Studie ansehen solle. Ich ging einigermaßen zerschmettert von dannen, aber schließlich bin ich doch dem guten Herrn Schücking für diesen zeitgemäßen Fingerzeig aufrichtig dankbar geblieben. Sehr vieles von dem, was ich später geschrieben, habe ich seinem Rate gemäß als Studie betrachtet.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 043. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s043.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2021)