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Ich erinnere mich, daß ich, so angeregt, in meinen Übersetzungen gewöhnlich über die für die nächste Unterrichtsstunde gestellte Aufgabe weit hinausging; und durch das vielfache Lesen bildete sich ein Gefühl, ich möchte sagen, für den Tonfall der Sprache aus, welches später in der ziemlich guten Latinität meiner lateinischen Aufsätze wieder zum Vorschein kam.

Diese Art zu studieren hatte ich zum großen Teil meinem Lehrer Bone zu verdanken, der aber aufhörte, mein Lehrer zu sein, als ich aus der Quarta in die Tertia aufstieg. Man war auch außerhalb des Gymnasiums auf seine außergewöhnlichen Fähigkeiten aufmerksam geworden, und er empfing einen Ruf, die Leitung einer Erziehungsanstalt zu übernehmen, die eine Gesellschaft von rheinischen Adligen für die Ausbildung ihrer Söhne gegründet hatte. Er verließ das Gymnasium, um diesem Ruf zu folgen. Später füllte er andere Lehrstellungen und geriet in Schwierigkeiten während der Kulturkampfzeit. Ich sah ihn nicht wieder bis zum Jahre 1888. Auf einer Reise in Deutschland hörte ich von einem alten Schulfreunde, daß Bone in hinfälliger Gesundheit sich nach Wiesbaden zurückgezogen habe. Ich beschloß sogleich, ihn aufzusuchen. Ich fand seine Wohnung in einem bescheidenen Hause, das wie eine Art von religiösem Stift aussah. (Bone war nämlich immer ein sehr eifriger Katholik gewesen.) Von allen Wänden blickten Heiligenbilder auf mich herab. Ein ältliches, nonnenhaft aussehendes Frauenzimmer führte mich in ein kleines, ebenfalls mit Heiligenbildern und Kruzifixen geschmücktes Wohngemach und trug meine Karte in ein anstoßendes Zimmer. Von dort hörte ich etwas wie einen Freudenschrei, und im nächsten Augenblick kam durch die Tür eilig hereingeschlurft mein guter alter Lehrer, den ich zum letztenmal als blühenden Dreißiger gesehen – jetzt ein kleines, zusammengeschrumpftes, gebrechliches Männchen in einem langen grauwollenen Schlafrock, mit riesigen Filzpantoffeln an den Füßen und einem schwarzseidenen Käppchen auf dem spärlichen weißen Haar. Wir umarmten und küßten einander, und er schien außer sich vor Vergnügen. „Sehn Sie, das freut mich nun“, rief er! „Ich hörte im Frühjahr schon, daß Sie in Deutschland waren. Dann habe ich von Ihren Zusammenkünften mit Bismarck und dem Kaiser gelesen. Aber ich wußte, Sie würden auch zu mir kommen. Ich habe Ihre Stimme erkannt – ja, ja, ich erkannte Ihre Stimme, als ich Sie draußen nach mir fragen hörte.“ Nun setzten wir uns, und es ging an ein Fragen und Erzählen. Er klagte über seinen Rheumatismus, der ihm das Ausgehen fast unmöglich und jede Beschäftigung sauer mache. Aber seine Augen glänzten vor Vergnügen, als ich ihm sagte, wie ich meinen Kindern die Methode erklärt, nach der er mich gelehrt habe, deutsch zu schreiben, und daß ich mir zur Erläuterung erst vor kurzem die letzte Auflage seines Lesebuches aus Deutschland habe nach Amerika kommen lassen. Dann erinnerte er mich an unsere Abende in Köln, und wie er mich als Knaben lieb gehabt, usw. usw. So vergingen ein paar wahrhaft glückliche Stunden. Als ich endlich aufstand, rief er: „Gehen wollen Sie? Wir haben ja unser gegenseitiges Wohl noch nicht getrunken. – O Himmel, nun habe ich keinen Wein hier. O, o – aber einen vorzüglichen Magenbittern hab

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 039. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s039.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)