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Weise zum Ausdruck zu bringen in Worten, die eben das Wahrgenommene darstellten und nichts anderes.

Nachdem diese Übungen in der einfachsten Form uns eine Zeitlang beschäftigt und wir es darin zu einer gewissen Sicherheit gebracht hatten, wurden uns Erweiterungen in der Satzbildung erlaubt, jedoch sollten dieselben nur dazu dienen, um Wahrgenommenes in seiner Gestalt, seinen Eigenschaften oder seiner Tätigkeit klarer und vollständiger vorzuführen. Diese Erweiterungen wurden wir angewiesen, allgemach zu entwickeln, bis wir endlich mehr oder minder verschlungene Satzperioden zu bilden verstanden. Auf die Aufsätze rein beschreibenden Inhalts, deren Gegenstände nach und nach größere Verhältnisse angenommen hatten, folgte dann die erzählende Darstellung einfacher Vorgänge, kleine Geschichten. Stets aber bestand der Lehrer auf Anschaulichkeit als dem vornehmsten Erfordernis; und erst dann ließ er den abstrakten Begriff und die Reflexion zum Ausdruck zu, als vorausgesetzt werden konnte, daß der Schüller von anständiger Begabung das Wesentliche der Beobachtung, Auffassung und Darstellung sinnlicher Erscheinungen gründlich erfaßt hatte. Die Aufsätze wurden von Bone sorgfältig korrigiert und bei der Zurückgabe der Hefte einer belehrenden Einzelkritik unterworfen, die, wenn sie etwas in außergewöhnlicher Weise zu loben fand, dem Schüler zu besonderer Ermutigung gedieh. Bones Methode lehrte uns also nicht allein korrekte Sätze zu bauen, sondern sie übte in uns die Fähigkeit, die merkwürdigerweise bei verhältnismäßig wenigen Menschen gründlich ausgebildet ist, die Fähigkeit, so zu sehen, so wahrzunehmen, daß man sich über das Wahrgenommene vollständige Rechenschaft geben und es zu klar anschaulicher Darstellung bringen kann. Das Studium der Grammatik, das keineswegs vernachlässigt wurde, lief dabei nebenher als das dienende Element.

Der dieser Methode zugrunde liegende Gedanke, daß es der Hauptzweck des Unterrichts ist, den Geist des Schülers zu selbständiger Tätigkeit anzuregen und darin leitend zu fördern – auf alle Lehrgegenstände angewandt –, enthält das Geheimnis der erfolgreichen Schülererziehung. So wird das Lernen gelehrt. Freilich erfordert die Durchführung dieser Methode Lehrer von Fähigkeit und gründlicher Ausbildung, denen auch ihr Beruf etwas mehr ist als ein bloßes Routinegeschäft.

Ich rechne es unter die Begünstigungen durch das Schicksal in meinem Leben, daß Professor Bone von Jahr zu Jahr aufsteigend Ordinarius der Sexta, Quinta und Quarta wurde, und daß ich so drei Jahre hindurch unter der Leitung dieses ausgezeichneten Lehrers stand. Der in der Klasse genossene Unterricht wurde durch häufige Gespräche mit ihm vervollständigt, da ich das Glück hatte, ihm persönlich näher zu kommen. Meine ersten kleinen Aufsätze zogen seine Aufmerksamkeit auf sich und gewannen seinen Beifall. Ich erinnere mich noch lebhaft meiner stolzen Genugtuung, als ich einmal eine meiner Arbeiten der Klasse als ein Muster vorlas. Er hob besonders einen Satz heraus, in dem eine Sommerabendszene im Dorfe beschrieben war, wie die Knaben die Kühe von der Weide herein trieben, während die

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 036. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s036.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)