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es sei eine wahre Freude gewesen, uns zusammen zu sehen, wie wir, gleichgekleidet und in vielen Dingen als Brüder erkennbar, uns miteinander umhertummelten und in unseren ernsteren Beschäftigungen sowohl als unseren Spielen und Freuden die beste Kameradschaft hielten. An wilden Knabenstreichen fehlte es auch nicht, aber es gab doch keine von bösartiger Natur. Das Schlimmste, das uns passierte, machte damals auf mich einen tiefen Eindruck und ist mir lebhaft in der Erinnerung geblieben.

Der alte Halfen von Buschfeld, einem nah bei Liblar gelegenen Gut, starb, und da er zu unserer weit verzweigten Verwandtschaft gehörte, so hatten wir Brüder bei dem Leichenbegängnis brennende Wachskerzen zu tragen. Nach dem Begräbnis gab es dann, dem Brauch gemäß, in Buschfeld einen großen Leichenschmaus, an welchem die Verwandten teilnahmen, sowie diejenigen, die bei dem Begräbnis besonders tätig gewesen waren. Solch eine ernste Feier entwickelte sich aber nicht selten zu einem recht heiteren Gelage; und so war es auch diesmal, da das Essen lange dauerte und der vortreffliche Wein den Gästen sehr behagte. Nun fiel es einem leichtsinnigen Onkel ein, meinen Bruder Heribert und mich bei dieser Gelegenheit im Weintrinken üben zu wollen. Er füllte also wieder und wieder unsere Gläser und nötigte uns, sie zu leeren. Die Folge war, daß wir zuerst sehr lustig wurden und dann bewußtlos von unseren Stühlen unter den Tisch glitten; worauf man das arme jugendliche Brüderpaar tief schlafend auf einen mit Stroh gefüllten Karren lud und nach Hause fuhr. Als wir wieder aufwachten und hörten, was geschehen war, schämten wir uns herzlich. Ich weiß nicht, ob ich damals schon einen förmlichen Beschluß faßte, mich niemals wieder so schlecht zu betragen. Aber gewiß ist, daß der Eindruck, den diese Begebenheit auf mich machte, nie verwischt wurde. Ich nahm von da an einen tiefen Ekel vor der Betrunkenheit mit mir ins Leben; und obgleich ich seitdem Wein oder Bier getrunken habe, wann es mir gefiel, so ist doch in der Tat jener Rausch bei dem Leichenschmaus in Buschfeld bis zu dieser Stunde mein einziger geblieben.

Von geistiger Anregung gab es im Dorfe nicht viel, aber doch immerhin etwas – besonders im Hause und im weiteren Kreise der Familie. Meine Mutter hatte nicht mehr Bildung genossen, als sie in der Dorfschule und im Verkehr mit den Ihrigen hatte finden können. Aber sie war eine Frau von ausgezeichneten natürlichen Eigenschaften – in hohem Grade verständig, leicht und klar auffassenden Geistes, und lebhaften Interesses für alles, was Interesse verdiente. Aber ihre wahre Bedeutung lag in ihrem sittlichen Wesen. Ich kenne keine Tugend, die sie nicht besaß. Nichts hätte ihr dabei fremder sein können, als ein sich überhebendes Selbstbewußtsein, denn sie war fast zu bescheiden und anspruchslos. Jene felsenfeste Rechtschaffenheit, die so ist, wie sie ist, weil sie nicht anders sein kann, war in ihr mit der wohlwollendsten Milde des Urteils über andere gepaart. Ihre Uneigennützigkeit bewies sich in jeder Probe als wahrhaft heldenmütiger Aufopferung fähig. Fremdes Leiden fühlte sie tiefer als ihr eigenes, und ihre stete Sorge war um das Glück derer, die sie umgaben. Kein Unglück konnte ihren Mut brechen, und die ruhige Heiterkeit

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 013. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s013.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)