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Wenn nun in der Umgegend bei solchen Gelegenheiten der Burghalfen fehlte, so galt das Fest nicht für vollständig. Aber er fehlte nicht oft. Gewöhnlich war er mit seiner großen Kugelbüchse, „der Ferkelstecher“ genannt, zur Stelle. Dieser Ferkelstecher – warum so genannt, weiß ich nicht mehr – war eine merkwürdige Waffe. Sie schoß eine gute Handvoll Pulver und eine Kugel, die volle acht Lot wog, und war so schwer, daß nur die stärksten Männer sie wagerecht ohne Stütze an der Schulter zu halten vermochten. Selbst wenn mein Großvater sie abfeuerte, so stand immer einer der kräftigsten seiner Knechte mit ausgestreckten Händen hinter ihm, um das Gewehr in seinem scharfen Rückstoß aufzufangen. Die Zahl der hölzernen Vögel, die der Burghalfen mit seinem furchtbaren Ferkelstecher herunterbrachte, war sehr groß, und jedesmal folgte ein Gelage, das den gewonnen Einsatz aufzehrte und gewöhnlich noch ein gutes Stück darüber. Nicht selten kam dann der siegreiche Burghalfen mit schwerem Kopf nach Hause.

Aber ein tüchtiger Ackerbauer war er auch – verständig, energisch und unermüdlich. In aller Frühe mit den Knechten auf dem Felde, unterwies und regierte er nicht nur, sondern, wenn es galt, ging er ihnen in der schwersten Arbeit mit gutem Beispiel voraus. Sein Bild steht noch vor mir, wie er dem Brauch gemäß in eigener Person den ersten Erntewagen in die Scheune brachte, die Peitsche in der Hand auf einem der drei oder vier geschmückten Pferde sitzend, die eins nach dem andern, tandemartig, vor den Wagen gespannt waren. Oft habe ich auch sagen hören, daß sein Rat über landwirtschaftliche Dinge von seinen Berufsgenossen häufig gesucht und hoch geschätzt wurde. Natürlich war er ein König in seinem Hause, aber ein König, dem man nicht nur gehorchte, sondern den man auch lieb hatte, und dessen Fehler man ansah wie eine Art von Naturnotwendigkeit, an der sich eben nichts ändern ließ.

Neben ihm stand meine Großmutter in merkwürdigem Kontrast. Sie war eine kleine, schmächtige Frau mit einem mageren Gesicht, das einmal hübsch gewesen war; von zarter Gesundheit, fromm, sanft, häuslich, immer tätig und voll von Sorgen. Der Haushalt, dem sie vorstand, war in der Tat groß genug, um ihr wenig Ruhe zu lassen. Bei Tagesanbruch im Sommer und bei Lampenlicht im Winter war sie auf den Füßen, um zu sehen, daß das zahlreiche Gesinde, männliches und weibliches, an die Arbeit kam und sein Frühstück hatte. Da waren wohl nahezu zwei Dutzend Knechte und Mägde, die gelegentlich beschäftigten Tagelöhner nicht gerechnet. Das Gesinde, gewöhnlich „das Volk“ genannt, versammelte sich zu den Mahlzeiten in einer zu ebener Erde gelegenen Halle, deren gewölbte Decke auf dicken steinernen Säulen ruhte. An der einen Seite befand sich der Herd mit großem Rauchfang. Mächtige Kessel hingen an eisernen Ketten und Haken über dem offenen Feuer. Dies war die allgemeine Küche des Hauses. Auf der andern Seite der Halle stand ein langer Tisch, an welchem, auf hölzernen Bänken sitzend, „das Volk“ seine Mahlzeiten nahm. Ehe sie sich niedersetzten, sagten die Knechte und Mägde, mit dem Rücken gegen den Tisch gewandt, ihre Gebete her. Dann brachte der Meisterknecht das

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 005. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s005.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)