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Erstes Kapitel.

Heimat und Vorfahren. Erste Jugendjahre.

Ich bin in einer Burg geboren. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß ich von einem adligen Geschlecht abgestammt sei. Mein Vater war zur Zeit meiner Geburt Schulmeister in Liblar, einem Dorfe von ungefähr 800 Einwohnern, auf der linken Rheinseite, drei Stunden Wegs von Köln gelegen. Sein Geburtsort war Duisdorf bei Bonn. In frühster Kindheit hatte er seine Eltern verloren und war der Sorge seines Großvaters anheimgefallen, der dem Bauernstande angehörte und auf einem kleinen Ackergütchen Getreide, Kartoffeln und ein wenig Wein zog. So wuchs mein Vater als ein eigentliches Bauernkind auf.

Im Jahre seiner Geburt, 1797, befand sich das linke Rheinufer im Besitz der französischen Republik. Seine Jugendjahre fielen daher in die von den Rheinländern so genannte „französische Zeit“, und von seinen Erinnerungen aus jener bewegten Periode wußte er später manches zu erzählen: wie er den Kaiser Napoleon gesehen, als dieser, vor dem Zuge nach Rußland, in der Gegend von Bonn ein Truppenkorps Revue passieren ließ; wie dann im Spätherbst 1813 die französische Armee nach der Schlacht bei Leipzig, geschlagen und zerfetzt, wieder am Rhein angekommen sei; wie er selbst auf dem Marktplatz in Bonn den General Sebastiani, der im Gasthof „Zum Stern“ sein Quartier hatte, aus dem Hause stürzen, sich auf sein Pferd werfen und mit seinem Stabe umhergaloppieren gesehen, während die Trompeter Alarm bliesen und die Trommler den Generalmarsch schlugen; denn es war die Nachricht gekommen, daß eine Abteilung Kosaken zwischen Bonn und Koblenz den Rhein überschritten hätte; wie dann die in Bonn liegenden Truppen eilig in Reih und Glied traten und in der Richtung von Frankreich abmarschierten; wie kranke und versprengte Franzosen in Menge hinter den Marschkolonnen zurückblieben und sich mühsam dahinschleppten; wie eines Abends mehrere Trupps Kosaken, schmutzige Kerle mit langen Bärten und kleinen zottigen Pferden, über das Land zu schwärmen begannen, die französischen Nachzügler aufjagten und viele davon niedermachten; wie sie sich auch in die Häuser drängten und alles stahlen, was ihnen gefiel; und wie dann, als die ersten Kosakenschwärme durchgezogen waren, die Bauern alles Bewegliche, das die Kosaken übrig gelassen hatten, zusammenrafften und in den nahen Wäldern versteckten, um es vor den nachkommenden Russen zu retten.

Dann passierten Heeresteile der gegen Napoleon verbündeten Mächte durch die Gegend auf ihrem Marsche nach Frankreich zu dem Feldzuge

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s001.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)