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Gespräche mit Mendelssohn i. d. Jahren
1835. 1836. 1837.
Am 15/3 37.

Am 14ten März 37. Früh 91/2 zu ihm. Tags vorher die 9te Symphonie v. Beethoven. Den ersten Satz nahm M. unbegreiflich rasch, für mich so beleidigend, daß ich geradezu fortging. Ich sagte es ihm auch, sogar etwas grob u. geradezu. Er war frappirt „er hätte sich ihn nie anders gedacht“. Dann „die drei ersten Sätze wären übertrieben schön“ Schon früher meinte er: „an Schwung käme am 1sten Satz nichts in der Musik gleich, von ferne etwa der Schluß des ersten Satzes des D-Moll Concerts von Bach“ „Einige kleine Instrumentirungen wünsche er vielleicht anders, im Scherzo (ich weiß die Stelle), dann im Adagio eine (wo die Violinen den starken Mittelgedanken beantworten): an der ersten höre man das Thema nicht, an der zweiten wären die Violinen zu schwach“. „Den letzten Satz verstünde er nicht“ Damit sagte er: „er gefiele ihm am wenigsten“.

In vierzehn Tagen heirathet er. „Ob es nicht schauerlich wäre von ihm: er stünde so nah am Ziel seines Glücks u. dennoch beleidige ihn eine falsche Note wie vorher, wäre er bei seiner Braut, wäre freilich alles vergessen“. Sie wäre ein Kind. Vor wenigen Tagen sagte er recht wehmüthig „Schumann, wie traurig, wenn ich an diesem Hause vorübergegangen wäre“.

Als wir über die Symphonie fertig waren, faßte er meine Hand: Sch, nehmen Sie mir jetzt etwas nicht übel; ich befinde mich bei Ihnen so behaglich; hab’ aber so traurige Erfahrungen gemacht namentlich bei denen, die etwas mit einem öffentlichen Organ zu thun haben, daß eine Scheu übrig geblieben ist, selbst gegen die, wo er doch wüßte, daß es nicht nöthig wäre, sie zu fürchten. Er wünsche mir gern zu schreiben, u. recht offen, was er auf dem Herzen habe. Ob ich ihm verspräche auch discret damit umzugehen“ Dies war der Sinn; ich etwas verlegen; es glich sich aber rasch aus.


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Ich fragte ihn über seine „Walpurgisnacht“ v. Göthe, die er schon längst componirt. „Der 1ste Theil wäre ihm jetzt zuwider, dagegen ihm der 2te sehr gefiel“ „Er wolle die Zeit abwarten, wo er einen andern 1sten dazu machen könne“ Leise/?/ sagte er mir von einem Brief, den er von Goethe üb. das Gedicht erhalten.


Empfohlene Zitierweise:
Robert Schumann: Erinnerungen an Felix Mendelssohn-Bartholdy. München: edition text + kritik, ca. 1848, diese Edition 1980, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schumann_Erinnerungen_an_Mendelssohn_Seite_108.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)