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Ich flöh’ die Welt, verlernte dich zu lieben,
Dein süßes Bild entwich auf ewig mir?
Und so entsagt ich meinen bessern Trieben,

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Und würde treulos meiner Glut und dir?


Nein! böt’ ein Gott mit freundlichem Erbarmen
Aus Lethens Fluthen eine Schaale mir,
Ich nähm’ die Schaale nicht aus seinen Armen
Und lebte ewig meinem Schmerz und dir!

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Ach! wirst auch du, wenn mit dem letzten Sterne,

Der Nähe süße Nahrung uns versiegt,
Und dann aus tiefer, hoffnungsloser Ferne,
Im öden Raum der trunkne Blick versiegt,

Wenn nun die Zeit, von Hoffnung nicht erheitert

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Der Freundin Bild mit Nebelflor behängt,

Und jeder Augenblick die Kluft erweitert,
Die grausend zwischen Geist und Geist sich drängt,

Wirst du auch dann die süßen Qualen theilen,
Von zarten Phantasieen eingewiegt,

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In stillen Träumen liebend zu mir eilen,

Wenn zwischen uns, ach! Raum und Zeit nun liegt?

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Musen-Almanach für das Jahr 1799. Tübingen: J. G. Cottaischen Buchhandlung, 1797, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Musenalmanach_1799_228.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)