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„Göttlicher! der ins Verborgne blicket,
     Dessen Auge jede Nacht durchschaut –
Ja! du kennst das Leiden, das mich drücket,
     Bist mit meines Herzens Gram vertraut.

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Diese Sehnsucht – ach! umsonst genähret,

Diese Flamme, die mich wild verzehret,
     Die die Ruh aus meinem Busen bannt,
     Ist, Latoneus Sprößling, dir bekannt!

Du auch fühltest einst der Liebe Schmerzen,

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     Als du Peneus schöne Tochter fandst,

Und, gerührt von ihrem Reitz, im Herzen
     Amors mörderischen Pfeil empfandst.
Als umsonst du deine Glut gestandest,
Dich umsonst den Sieger Pythons nanntest,

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     Unerweichet floh die Spröde dich

     Und dein Arm schlang nur um Lorbeer sich.

Mag, was sterblich ist, dem Pfeil entgehen,
     Welcher selbst Unsterbliche besiegt?
Kann des Menschen Kraft da widerstehen,

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     Wo der Götter Allmacht selbst erliegt?

Nein, in des Olympos stolzem Bogen,
Auf der Erde, in des Meeren Wogen,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Musen-Almanach für das Jahr 1799. Tübingen: J. G. Cottaischen Buchhandlung, 1797, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Musenalmanach_1799_055.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)