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Sappho: Ihres Auges Glut erlischet,

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     Ihrer Wangen Purpurschimmer bleicht.

Ungestillte Sehnsucht beugt sie nieder,
Schwermuth hallt aus jedem ihrer Lieder,
     Und der unbelohnten Liebe Schmerz
     Füllet mit Verzweiflungs-Quaal ihr Herz.

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Wie sie wankt, das Auge Thränumnachtet!

     Wie die Locken wild ihr Haupt umwehn!
„Soll ich stets von Phaon mich verachtet,
     Mir Beglücktre vorgezogen sehn?
Nein! zu Phöbus heilgen Tempelhallen,

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Nach Leukates Felsen will ich wallen.

     Ewig senk’ ich in der Fluthen Grab
     Mich und meine Liebe dort hinab.“

Seht! Schon naht sie sich Apolls Altare,
     Angethan mit bräutlichem Gewand,

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Eine Myrtenkrone in dem Haare

     Die vertraute Leyer in der Hand.
Auf der Sängerinn gebleichten Wangen,
Malt sich noch ein schmachtendes Verlangen,
     Und es tönet, zu der Laute Klang,

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     So zu Phöbus auf ihr Schwanensang:
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Musen-Almanach für das Jahr 1799. Tübingen: J. G. Cottaischen Buchhandlung, 1797, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Musenalmanach_1799_054.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)