Seite:Schiller Musenalmanach 1798 176.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Sie tappen, auch bey ihrem kühnsten Streben,
Im Dunkel hin, und kennen selbst sich kaum.
Das Schicksal mag sie drücken oder heben:
Wo findet ein unendlich Sehnen Raum?

15
Nur Liebe kann den Erdenstaub beflügeln,

Nur sie allein der Himmel Thor entsiegeln.

     Und ach! sie selbst, die Königin der Seelen,
Wie oft erfährt sie des Geschickes Neid!
Manch liebend Paar zu trennen und zu quälen

20
Ist Haß und Stolz verschworen und bereit.

Sie müssen schlau die Augenblicke stehlen,
Und wachsam lauschen in der Trunkenheit,
Und, wie auf wilder Well’ in Ungewittern,
Vor Todesangst und Götterwonne zittern.

25
     Doch der Gefahr kann Zagheit nur erliegen,

Der Liebe Muth erschwillt, je mehr sie droht.
Sich innig fest an den Geliebten schmiegen,
Sonst kennt sie keine Zuflucht in der Noth.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Musen-Almanach für das Jahr 1798. Tübingen: J. G. Cottaischen Buchhandlung, 1797, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Musenalmanach_1798_176.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)