Seite:Schiller Die Horen 4-1795.pdf/131

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der sich von selbst über ihren Scheitel erhob und frey in die Höhe schwebte und eilte dem jungen Manne nach, der sachte und in Gedanken am Ufer hinging. Seine herrliche Gestalt und sein sonderbarer Anzug hatten sich der Alten tief eingedruckt.

Seine Brust war mit einem glänzenden Harnisch bedeckt, durch den alle Theile seines schönen Leibes sich durchbewegten. Um seine Schultern hing ein purpur Mantel, um sein unbedecktes Haupt wallten braune Haare in schönen Locken; sein holdes Gesicht war den Strahlen der Sonne ausgesetzt, so wie seine schön gebauten Füße. Mit nackten Sohlen ging er gelassen über den heissen Sand hin und ein tiefer Schmerz schien alle äussere Eindrücke abzustumpfen.

Die gesprächige Alte suchte ihn zu einer Unterredung zu bringen, allein er gab ihr mir kurzen Worten wenig Bescheid, so daß sie endlich ungeachtet seiner schönen Augen müde ward ihn immer vergebens anzureden, von ihm Abschied nahm und sagte: Ihr geht mir zu langsam, mein Herr, ich darf den Augenblick nicht versäumen um über die grüne Schlange den Fluß zu passiren und der schönen Lilie das vortrefliche Geschenk von meinem Manne zu überbringen. Mit diesen Worten schritt sie eilends fort und eben so schnell ermannte sich der schöne Jüngling und eilte ihr auf dem Fuße nach. Ihr geht zur schönen Lilie! rief er aus, da gehen wir Einen Weg. Was ist das für ein Geschenk das Ihr tragt?

Mein Herr, versetzte die Frau dagegen, es ist nicht

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 10-123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_4-1795.pdf/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)