Seite:Schiller Die Horen 4-1795.pdf/120

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

(hier machten beyde Flammen, indem sie ihre ganze Breite aufopferten, sich so lang und spitz als möglich) wie schön uns Herren von der vertikalen Linie diese schlanke Länge kleidet; nehmen Sie’s uns nicht übel, meine Freundin; welche Familie kann sich das rühmen? so lang es Irrlichter giebt, hat noch keins weder gesessen noch gelegen.

Die Schlange fühlte sich in der Gegenwart dieser Verwandten sehr unbehaglich, denn sie mochte den Kopf so hoch heben als sie wollte, so fühlte sie doch daß sie ihn wieder zur Erde biegen muste um von der Stelle zu kommen, und hatte sie sich vorher im dunkeln Hayn außerordentlich wohlgefallen, so schien ihr Glanz in Gegenwart dieser Vettern sich jeden Augenblick zu vermindern, ja sie fürchtete, daß er endlich gar verlöschen werde.

In dieser Verlegenheit fragte sie eilig, ob die Herren ihr nicht etwa Nachricht geben könnten, wo das glänzende Gold herkomme, das vor kurzem in die Felskluft gefallen sey; sie vermuthe es sey ein Goldregen, der unmittelbar vom Himmel träufle. Die Irrlichter lachten und schüttelten sich und es sprangen eine große Menge Goldstücke um sie herum. Die Schlange fuhr schnell darnach sie zu verschlingen. Laßt es euch schmecken, Frau Muhme, sagten die artigen Herren, wir können noch mit mehr aufwarten. Sie schüttelten sich noch einige Male mit großer Behendigkeit, so daß die Schlange kaum die kostbare Speise schnell genug hinunter bringen konnte. Sichtlich fing ihr Schein an zu wachsen und sie leuchtete wirklich aufs herrlichste, indeß die Irrlichter ziemlich

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 10-112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_4-1795.pdf/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)