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Zu eben der Zeit machte er eine Entdeckung, die seinen Unwillen noch mehr erregte. Er bemerkte, daß sein Vater nicht allein kein guter, sondern auch ein unordentlicher Haushälter war. Denn er nahm oft aus seinem Schreibtische in der Geschwindigkeit Geld, ohne es aufzuzeichnen, und fing nachher manchmal wieder an zu zählen und zu rechnen, und schien verdrießlich, daß die Summen mit der Casse nicht übereinstimmen wollten. Der Sohn machte diese Bemerkung mehrmals, und um so empfindlicher ward es ihm, wenn er zu eben der Zeit, da der Vater nur willkührlich in das Geld hinein griff, einen entschiedenen Mangel spürte.

Zu dieser Gemüthsart traf ein sonderbarer Zufall, der ihm eine reizende Gelegenheit gab, dasjenige zu thun, wozu er nur einen dunkeln und unentschiedenen Trieb gefühlt hatte.

Sein Vater gab ihm den Auftrag, einen Kasten alter Briefe durch zu sehen und zu ordnen. Eines Sonntags, da er allein war, trug er ihn durch das Zimmer, wo der Schreibtisch stand, der des Vaters Casse enthielt. Der Kasten war schwer; er hatte ihn unrecht gefaßt, und wollte ihn einen Augenblick absetzen, oder vielmehr nur anlehnen. Unvermögend ihn zu halten, stieß er gewaltsam an die Ecke des Schreibtisches, und der Deckel desselben flog auf. Er sah nun alle die Rollen vor sich liegen, zu denen er manchmal nur hinein geschielt hatte, setzte seinen Kasten nieder und nahm, ohne zu denken oder zu überlegen, eine Rolle von der Seite weg, wo der Vater gewöhnlich sein Geld zu willkührlichen Ausgaben herzunehmen schien. Er druckte den Schreibtisch wieder

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 7-61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_3-1795.pdf/69&oldid=- (Version vom 1.8.2018)