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Ferdinand wuchs mit der unangenehmen Empfindung heran, daß ihm oft dasjenige fehle, was er an seinen Gespielen sah. Er wollte in Kleidung, in einer gewissen Liberalität des Lebens und Betragens hinter niemanden zurück bleiben, er wollte seinem Vater ähnlich werden, dessen Beyspiel er täglich vor Augen sah, und der ihm doppelt als Musterbild erschien, einmal als Vater, für den der Sohn gewöhnlich ein günstiges Vorurtheil hegt, und dann wieder weil der Knabe sah, daß der Mann auf diesem Wege ein vergnügliches und genußreiches Leben führte und dabey von jedermann geschätzt und geliebt wurde.

Ferdinand hatte hierüber, wie man sich leicht denken kann, manchen Streit mit der Mutter, da er dem Vater die abgelegten Röcke nicht nachtragen, sondern selbst immer in der Mode seyn wollte. So wuchs er heran und seine Forderungen wuchsen immer vor ihm her, so daß er zuletzt, da er achtzehn Jahr alt war, ganz ausser Verhältniß mit seinem Zustande sich fühlen mußte.

Schulden hatte er bisher nicht gemacht, denn seine Mutter hatte ihm davor den größten Abscheu eingeflößt, sein Vertrauen zu erhalten gesucht und in mehreren Fällen das Aeußerste gethan, um seine Wünsche zu erfüllen, oder ihn aus kleinen Verlegenheiten zu reissen. Unglücklicherweise war in eben dem Zeitpunkte, wo er nun als Jüngling noch mehr aufs Aeussere sah, wo er durch die Neigung zu einem sehr schönen Mädchen, verflochten in grössere Gesellschaft, sich andern nicht allein gleich zu stellen, sondern vor andern sich hervorzuthun und zu gefallen wünschte, die Mutter in ihrer Haushaltung gedrängter

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 7-56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_3-1795.pdf/64&oldid=- (Version vom 1.8.2018)