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zu erscheinen; so darf ich deswegen doch nicht meine Pflicht hintansetzen, vielmehr muß ich den Reitzungen aller Leckerbissen, die vor mir vorbey gehen, zu widerstehen suchen. Können Sie sich entschließen einen Monat lang gleichfalls alle diese Gesetze zu befolgen; so werden Sie alsdann sich selbst in dem Besitz eines Freundes desto mehr erfreuen, als Sie ihn durch ein so lobenswürdiges Unternehmen gewissermaßen selbst erworben haben.

Die schöne Dame vernahm ungern die Hindernisse, die sich ihrer Neigung entgegen setzten, doch war ihre Liebe zu dem jungen Manne durch seine Gegenwart dergestalt vermehrt worden, daß ihr keine Prüfung zu streng schien, wenn ihr nur dadurch der Besitz eines so werthen Guts versichert werden konnte. Sie sagte ihm daher mit den gefälligsten Ausdrücken: mein süßer Freund! das Wunder wodurch Sie Ihre Gesundheit wieder erlangt haben, ist mir selbst so werth und verehrungswürdig, daß ich es mir zur Freude und Pflicht mache, an dem Gelübde Theil zu nehmen, das Sie dagegen zu erfüllen schuldig sind. Ich freue mich, Ihnen einen so sichern Beweis meiner Neigung zu geben; ich will mich auf das genauste nach Ihrer Vorschrift richten, und ehe Sie mich lossprechen, soll mich nichts von dem Wege entfernen, auf den Sie mich einleiten.

Nachdem der junge Mann mit ihr aufs genauste diejenigen Bedingungen abgeredet, unter welchen sie ihm die Hälfte seines Gelübdes ersparen konnte, entfernte er sich mit der Versicherung, daß er sie bald wieder besuchen und nach der glücklichen Beharrlichkeit in ihrem Vorsatze fragen würde, und so mußte sie ihn gehen lassen, als er ohne

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 4-63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_2-1795.pdf/71&oldid=- (Version vom 1.8.2018)