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Die Horen - eine Monatsschrift, 1. Band

auch des Interesse für Wahrheit heißt demnach: befriedige deinen Trieb! woraus für den gegenwärtigen Fall sich folgende zwei Regeln ergeben: entferne jedes Interesse, das dem reinen Interesse für Wahrheit entgegen ist, und suche jeden Genuß, der das reine Interesse für Wahrheit befördert!

Man nehme keinen Anstoß an der sonst mit Recht verdächtigen Empfehlung des Genusses. Daß durch den Genuß, und allein durch diesen jeder Trieb, der in der vernünftigen Natur des Menschen gegründet ist, ausgebildet werde, ist einmal wahr. Genuß, der sich blos auf Befriedigung der animalischen Sinnlichkeit gründet, verzehrt und vernichtet sich in sich selbst, und von ihm ist hier nicht die Rede. Geistiger Genuß, wie z. B. der ästhetische, erhöht sich durch sich selbst. Es ist demnach eben so wahr, daß die oben aufgestellte Regel die einzige ist, die zur Erhöhung irgend eines geistigen Interesse gegeben werden kann. Die Beantwortung einer ganz andern Frage: ob nemlich irgend ein geistiger Genuß ganz unbedingt zu empfehlen sey? hängt ab von der Beantwortung einer höhern Frage: ob der Trieb, auf den jener Genuß sich bezieht, ins unbedingte zu erhöhen? und diese von der noch höhern: ob dieser Trieb irgend einem andern unterzuordnen sey? So ist der ästhetische Trieb im Menschen allerdings dem Triebe nach Wahrheit, und dem höchsten aller Triebe, dem nach sittlicher Güte, unterzuordnen. Ob der Trieb nach Wahrheit mit einem höhern Triebe in Streit kommen könne, wird sich aus unserer Untersuchung von selbst ergeben. – Irgend einen Ausdruck aber zu vermeiden, weil er gemißbraucht worden, glaube ich wenigstens hier nicht nöthig zu haben.

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: Die Horen - eine Monatsschrift, 1. Band. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/97&oldid=- (Version vom 1.8.2018)