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Neues und zwar eben etwas das einen Mitbürger oder eine Mitbürgerin heruntersetzt, vorgetragen wurde. Fragen Sie sich selbst und fragen Sie viele andere, was giebt einer Begebenheit den Reiz? nicht ihre Wichtigkeit, nicht der Einfluß den sie hat, sondern die Neuheit. Nur das Neue scheint gewöhnlich wichtig, weil es ohne Zusammenhang Verwunderung erregt und unsre Einbildungskraft einen Augenblick in Bewegung setzt, unser Gefühl nur leicht berührt und unsern Verstand völlig in Ruhe läßt. Jeder Mensch kann ohne die mindeste Rückkehr auf sich selbst an allem was neu ist lebhaften Antheil nehmen, ja, da eine Folge von Neuigkeiten immer von einem Gegenstande zum andern fortreißt, so kann der grossen Menschenmasse nichts willkommener seyn, als ein solcher Anlaß zu ewiger Zerstreuung und eine solche Gelegenheit Tück- und Schadenfreude auf eine bequeme und immer sich erneuernde Weise auszulassen.

Nun! rief Luise, es scheint Sie wissen Sich zu helfen; sonst ging es über einzelne Personen her, jetzt soll es das ganze menschliche Geschlecht entgelten.

Ich verlange nicht, daß Sie jemals billig gegen mich seyn sollen, versetzte jener; aber so viel muß ich Ihnen sagen, wir andern, die wir von der Gesellschaft abhängen, müssen uns nach ihr bilden und richten, ja wir dürfen eher etwas thun, das ihr zuwider ist, als was ihr lästig wäre, und lästiger ist ihr in der Welt nichts als wenn man sie zum Nachdenken und zu Betrachtungen auffordert. Alles was dahin zielt muß man ja vermeiden und allenfalls das im Stillen für sich vollbringen, was bey jeder öffentlichen Versammlung versagt ist.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/88&oldid=- (Version vom 1.8.2018)