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Die Horen - eine Monatsschrift, 1. Band

gebe ich ihr durch Freiheit; deren Regel ist, stets übereinstimmend mit sich selbst zu wirken; vorher war sie eine fremde Kraft, Kraft der Willenlosen, und Zwecklosen Natur in mir.

Diese Geisteskraft wird durch den Gebrauch verstärkt, und erhöht; und diese Erhöhung giebt Genuß, denn sie ist Verdienst. Sie gewährt das erhebende Bewußtseyn: ich war Maschine, und konnte Maschine bleiben; durch eigne Kraft, aus eignem Antriebe habe ich mich zum selbstständigen Wesen gemacht. Daß ich jetzt mit Leichtigkeit, frei, nach meinem eignen Zwecke fortschreite, verdanke ich mir selbst; daß ich fest, frei und kühn an jede Untersuchung mich wagen darf, verdanke ich mir selbst. Dieses Zutrauen auf mich, diesen Muth, mit welchem ich unternehme, was ich zu unternehmen habe, diese Hoffnung des Erfolgs, mit der ich an die Arbeit gehe, verdanke ich mir selbst.

Durch diese Geisteskraft wird zugleich das moralische Vermögen gestärkt, und sie ist selbst moralisch. Beyde hängen innig zusammen, und wirken gegenseitig ein aufeinander. Wahrheitsliebe bereitet vor zur moralischen Güte, und ist selbst schon an sich eine Art derselben. Dadurch, daß man alle seine Neigungen, Lieblingsmeinungen, Rücksichten, alles, was ausser uns ist, den Gesetzen des Denkens frei unterwirft, wird man gewöhnt vor der Idee des Gesetzes überhaupt sich niederzubeugen und zu verstummen; und diese freie Unterwerfung ist selbst eine moralische Handlung. Herrschende Sinnlichkeit schwächt in gleichem Grade das Interesse für Wahrheit, wie für Sittlichkeit. Durch den Sieg, den das

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: Die Horen - eine Monatsschrift, 1. Band. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)