Seite:Schiller-Galerie.pdf/98

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
FERDINAND.
(Kabale und Liebe.)


Nicht nur die Zeit, in der der Künstler lebte und Eindrücke empfing, muss man kennen und berücksichtigen, sondern auch seine persönlichen Verhältnisse und Stimmungen, als er sein Werk schuf, – wenn man es beurtheilen will.

Wir haben schon bei Luise auf die erstere hingewiesen, da man ohne jene Erinnerung an die tiefe Fäulniss der sittlichen Zustände und die absolutistische Willkür kleiner Höfe im vorigen Jahrhundert den Grimm in der Schilderung derselben nicht begreift, der sich durch „Kabale und Liebe“ zieht und diesem Stück ein so ungeheueres Echo in der Nation verschaffte. Auch die unsichere und bedrängte Lage des Dichters selbst zu jener Zeit hat man in Rechnung zu ziehen, wenn man es verstehen will. Im Zwang eines Standes entstanden, welcher, der hohen Seele aufgedrungen, als eine widerwärtige Bürde auf ihr lastete, vollendet auf der Flucht vor gefürchteter Verfolgung einer tyrannischen Gewalt, die keine Schranken mehr kannte als die ihrer Macht, musste sich jene tiefe Empörung gegen den politischen Zustand des Vaterlandes erzeugen und geltend machen, die am Ende nur zu gerechtfertigt war, so fremd sie uns heute erscheint.

So sehr uns auch die Wildheit dieses Stücks erschreckt und zurückstösst, so erstaunt man dagegen gerade hier um so mehr über die Macht des Dichters, über die wahrhaft dämonische Glut und Gewalt, mit der er uns fortreisst, uns zwingt, selbst seine Irrthümer zu theilen. Unser Gefühl wird von ihm überwältigt, wenn uns Verstand und Geschmack auch zehnmal die Roheit seines Gemäldes, den Mangel aller feinern und ausgleichendern Nuancen vorhält. Diese Roheit liegt aber mehr in der Ausführung, die der junge, wenig

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)