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keinerlei Aufklärung über den bestimmten Sinn, den er mit diesem sehr unbestimmten Worte verbinde. Sicherlich zeichnet Verrina’s manierirtes Römerthum den damaligen Horizont des feurigen Dichters selber, wie es denn höchst interessant ist, das Form- und Masslose der politischen Ideen in den drei ersten Stücken, das Fester- und Bestimmterwerden derselben im „Don Carlos“ und endlich die vollständige Sicherheit in deren Entwickelung beim „Tell“ miteinander zu vergleichen. Welcher Unterschied in der Betrachtung, während doch bei allen dasselbe Streben zu Grunde liegt; welche edle Weisheit in den Reden des sterbenden Attinghausen, in den Forderungen der schweizer Landleute, verglichen mit der chaotischen Verwirrung in „Kabale und Liebe“ oder „Fiesco“!

Die Lücke der jugendlichen Bildung, die er später in seinem „Don Carlos“ und „Tell“ so glänzend ausfüllt, einmal zugegeben, werden wir aber auch hier schon theils durch die dramatische Kraft in der Bewegung der ganzen Handlung, die überall herausbricht, schadlos gehalten, theils durch die mächtige Fähigkeit zur grossartigen Zeichnung, wie sie sich bei einzelnen Figuren findet. Ein Menschenbild mit Grösse der Seele auszustatten und es doch individuell wahr zu schildern, kann nur einem Künstler gelingen, der selber eine geniale Natur ist. Dass Schiller dies in Andreas Doria vermochte, und zwar mit wenigen Meisterstrichen, spricht deutlicher als das ganze übrige Stück für seinen echten Künstlerberuf. Seelengrösse aber erkennt man nicht sowol direct, sondern vorzugsweise durch Vergleichung mit andern, an der zauberischen Wirkung, die sie auf dieselben ausübt. Diese Wirkung des alten Helden ist aber überall im Stück aufs feinste ausgesprochen, überall treffen wir die Verehrung vor ihm, die Scheu oder die Achtung. So sagt selbst Leonore, dies feine Frauenherz, im Augenblick, da sie den Sturz seines Geschlechts träumt und wünscht, von ihm, es sei eine Wollust, ihm gut zu sein, „denn er ist sanft und so gross zugleich“ – „Donner und Doria“ ist ein Sprichwort geworden –, Andreas ist überall der erste Gedanke, der letzte Grund, den jeder hat; ob mit Verehrung oder Hass, immer aber denken sie

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/83&oldid=- (Version vom 1.8.2018)