Seite:Schiller-Galerie.pdf/421

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und sich im Laufe des Stücks nicht sonderlich verändern, sondern blos ihr Schicksal ändern helfen oder – auch nicht helfen. Wir sehen hier im Gegentheil den innerlichen Umwandelungsprocess, der mit dem Prinzen vorgeht, mit wunderbarer Deutlichkeit sich Schritt für Schritt vor uns aufrollen, sehen aufs natürlichste dargestellt, wie der Herr zuletzt an einem Ziele anlangt, das wir auch nicht im entferntesten geahnt, da wir mit ihm bekannt wurden.

So anschaulich uns hier der innere Lebensprocess eines Menschen dargestellt wird, so sehr weiss Schiller auch die leblose Natur, die äussere Umgebung, in die er seine Helden bringt, zur Erhöhung der dramatischen Wirkung zu benutzen.

Liest man den „Tell“, so scheint die ganze ernste und prachtvolle Alpennatur mitzuspielen, ja sie gibt uns sogar regelmässig den Ton zuerst an, der in unserer Seele angeschlagen werden soll, bereitet uns auf denselben vor. Nicht minder hat der grosse Dichter auch im „Geisterseher“ eine Scenerie, die er nie mit eigenen Augen gesehen, auf glückliche Weise durch einzelne Züge anzudeuten und selbst für die zu beleben gewusst, die die genaueste Kenntniss derselben haben; jenes bald drängend und lärmend lebendige, bald tödlich einsame und geheimnissvolle Wesen, das Venedig selbst wie die umgebenden Inseln haben, ist trefflich angedeutet, die lokale Färbung seines Gemäldes ist ebenso gelungen als die Zeichnung der Figuren meisterhaft; denn trotz alles philosophischen Hanges war Schiller doch noch nicht auf den sublimen Satz gekommen wie eine moderne Schule: dass wie die Sprache da sei, die Gedanken zu verbergen, so auch die Farbe da sei, der Zeichnung zu widersprechen.



Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/421&oldid=- (Version vom 1.8.2018)