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Wein’ um den Bruder, ich will mit dir weinen,
Und – mehr noch – rächen will ich ihn! Doch nicht
Um den Geliebten weine! . . . .
Dich liebt’ ich, wie ich nichts zuvor geliebt,
Da du noch eine Fremde für mich warst.
Weil ich dich liebte über alle Grenzen,
Trag’ ich den schweren Fluch des Brudermords;
Liebe zu dir war meine ganze Schuld.

Es ist aber der Charakter grosser Naturen, dass sie durch schwere Schicksale nicht zerschmettert und erdrückt, sondern gereinigt und geläutert werden: so ist auch Don Cesar keinen Augenblick im Zweifel, dass er eine Sühne schuldig ist, dass er sich selbst der beleidigten Gerechtigkeit zum Opfer darbringen muss, um den Fluch zu entwaffnen, der auf seinem Hause liegt. Dieser heroische Charakter gibt ihm die Energie, nicht nur dem Flehen der Mutter zu widerstehen:

Ein mächtiger Vermittler ist der Tod.
Da löschen alle Zornesflammen aus . . . .
Drum, Mutter, wehre du mir nicht, dass ich
Hinuntersteige und den Fluch versöhne . . . .
Wohl lässt der Pfeil sich aus dem Herzen ziehn,
Doch nie wird das Verletzte mehr gesunden.
Lebe; wer’s kann, ein Leben der Zerknirschung,
Mit strengen Busskasteiungen allmählich
Abschöpfend eine ew’ge Schuld – ich kann
Nicht leben, Mutter, mit gebrochnem Herzen –

sondern endlich auch bei dem der geliebten Schwester standhaft zu bleiben: die läuternde Flamme der Liebe verleiht ihm erst die rechte Kraft zur Ausführung seines Vorsatzes:

Nein, Bruder! Nicht dein Opfer will ich dir
Entziehen – deine Stimme aus dem Sarg
Ruft mächt’ger dringend als der Mutter Thränen
Und mächt’ger als der Liebe Flehn. – Ich halte
In meinen Armen, was das ird’sche Leben
Zu einem Los der Götter machen kann –
Doch ich, der Mörder, sollte glücklich sein,
Und deine heil’ge Unschuld ungerächet
Im tiefen Grabe liegen? . . . .



Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/325&oldid=- (Version vom 1.8.2018)