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kurzen meisterhaften Scene, die ihr zu ihrer Rechtfertigung vergönnt ist, entwickelt sie rasch alle die Eigenschaften, aus denen sich der Künstler ihr Bild entwerfen konnte, der sie daher auch in dieser Situation dargestellt hat. Sie zeigt uns in derselben die hochbegabte, stolze, mächtige Natur mit durchdringendem Verstande und starken, begehrlichen Sinnen, wo die Seite des Gemüths nur eine untergeordnete Rolle zu spielen hat. Hätte diese muthvolle, heroische, zur Königin geborene Frau einen Gatten gefunden, der ihr gleichstand, einen geistig und körperlich gesunden, starken, kurz einen wahrhaften Mann, so wäre sie wahrscheinlich nie aus dem Kreise getreten, den Geschlecht und Sitte ihr anwiesen. So aber wird sie gleich in ihrer Jugend in die unnatürlichsten Verhältnisse, in ein fremdes Land geschleudert, einem Manne vermählt, an dessen Seite sie statt des Entzückens der Liebe bald nur Mitleid oder Entsetzen empfinden kann. Jetzt erst bricht das Unbändige ihres Naturells heraus; sie selber berichtet:

Ich habe Leidenschaften, warmes Blut,
Wie eine andre, und ich kam als Königin
In dieses Land, zu leben, nicht zu scheinen.
Sollt’ ich der Freud’ absterben, weil der Fluch
Des Schicksals meine lebensfrohe Jugend
Zu dem wahnsinn’gen Gatten hat gesellt?
Mehr als das Leben lieb’ ich meine Freiheit,
Und wer mich hier verwundet. . . .

Ihre angeborene Wahrhaftigkeit:

Die Heuchelei veracht’ ich. Wie ich bin,
So sehe mich das Aug’ der Welt –

wird jetzt Frechheit, wie denn allemal die zum Folgen und sich Anschmiegen, zum Gehorchen bestimmte Natur des Weibes sich ins Gegentheil verkehrt, wenn ihr zur Erfüllung dieser Bestimmung ihrer Existenz die nöthigen Bedingungen geraubt werden, wie hier, wo einer jungen und schönen, reichbegabten Fürstin der Herrscher zur Seite entzogen ward, die nur noch Unterthanen und Schmeichler um sich sieht. Musste schon diese nothwendige Umgebung der Fürsten

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/299&oldid=- (Version vom 1.8.2018)