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KÖNIGIN ISABEAU.
(Die Jungfrau von Orleans.)


Um uns zu versinnlichen, in welchem verwilderten zerrütteten Zustande sich das ganze Land befindet, wie alle Bande der Natur im Bürgerkriege aufgelöst sind, ist keine Gestalt des Dramas so geeignet, als die so weit über die Grenzen ihres Geschlechts hinausgetriebene Figur dieser Königin, die in ihrer ganzen furchtbaren Erscheinung den realistischen Gegensatz zur Jungfrau bildet und so sehr geeignet ist, uns auf die Erscheinung des Ausserordentlichen vorzubereiten, das nachher in dem begeisterten Mädchen von Orleans auftritt. Wenn diese die weibliche Natur einer höhern Idee zu Liebe verleugnet, so handelt Isabeau gegen die des Weibes und der Mutter zugleich, getrieben von wilder Leidenschaftlichkeit.

Einen so abnormen psychologischen Process aber zu erklären, wie ihn die Königin Isabeau zeigt, dazu bedarf es wenig mehr als der weitern Ausführung der Anhaltepunkte, die im Schiller’schen Stück flüchtig skizzirt wurden, so musterhaft richtig sind dieselben. Wir sehen anfangs von dieser Frau nichts als den Abscheu und das Entsetzen, das ihr unnatürlicher Kampf gegen den eigenen Sohn nicht nur der Masse einflösst, sondern auch den Widerwillen, den er selbst bei den höhergebildeten Führern erregt, die ihr unumwunden sagen:

Geht! der Soldat verliert den guten Muth,
Wenn er für Eure Sache glaubt zu fechten.

Und doch geben dieselben der Macht ihrer Gründe nach, dem Weltverstand, den ihnen das begabte Weib predigt, und vereinigen sich wieder, nachdem sie sich eben aufs bitterste entzweit! In der

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/298&oldid=- (Version vom 1.8.2018)