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AGNES SOREL.
(Die Jungfrau von Orleans.)


Das Genie der Frauen liegt in ihrem Herzen, wenn dieses ganz ausgefüllt wird, lernen wir es nur im Bereiche desselben kennen, wo es uns durch seine Unerschöpflichkeit an rührenden Zügen immer wieder aufs neue zu überraschen vermag.

Einen solchen Charakter, dem das Glück geworden, ganz in innerer Harmonie mit sich zu bleiben, trotzdem dass er nicht nur mit allen Reizen des Körpers, sondern auch eines hervorragenden Geistes und ungewöhnlicher Bildung geschmückt ist, sehen wir in der Gestalt der berühmten Frau, deren reine und hohe Liebe als ein leuchtendes Beispiel längst mit allem Zauber der Romantik geschmückt, eine rührende Erinnerung für alle gemüthvollen Seelen geworden ist, und der auch unser Schiller in seinem Werke ein schönes Denkmal gestiftet hat, als er ihre so sprichwörtlich gewordene Zärtlichkeit mit allem Zauber seiner Poesie umkleidete. Wir lernen sie bei ihm als eine der entschiedensten Priesterinnen der Liebe, der am ausschliesslichsten nur ihr lebenden Naturen kennen, die er unter seinen Frauensgestalten uns vorführt.

Da die Gesetze der Welt es dem König erschweren, dem Bund, den sein Herz mit ihr geschlossen, die priesterliche Weihe geben zu lassen, er wenigstens, um dies zu thun, eine Stufe herabsteigen, auf legitime Erben verzichten müsste, so nimmt sie dieses Opfer nicht an, obgleich es ihr angetragen wird, und obgleich durch diese ungesetzliche Verbindung ein Makel auf ihr haftet, dessen sie sich wohl bewusst ist, da sie ihm sagt:

Wie? Hab’ ich dir nicht alles froh geopfert,
Was mehr geachtet wird, als Gold und Perlen,
Und sollte jetzt mein Glück für mich behalten?

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/282&oldid=- (Version vom 1.8.2018)