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weitem die Kränkung und die Schmach, alles Land bis zur Loire preiszugeben. Darum ist ihm auch die Liebe so wichtig und Agnes so theuer; sie stützt ihn, ohne es zu wissen, und er findet es reizend, dass sie ihm alles opfert, sogar ihre Ehre, und nichts von ihm will, als seine Liebe.

Es ist ganz begreiflich, wie ein solcher Charakter an der Spitze einer Nation sie zur vollsten Demoralisation bringen kann, da sie ihn, gutmüthig, wie er erscheint, doch nicht fallen lässt, aber weil sie an ihrem Haupt verzweifelt, zuletzt auch nicht mehr an die Kraft der Glieder glaubt, und so in den muth- und rathlosen Zustand geräth, in welchem wir sie zu Anfang des Stücks finden, und aus dem sie durch das Beispiel kühnen Muthes, das ihr Johanna gibt, rasch zu kampflustiger Begeisterung umschlägt. Auch Karl hat ritterliche Anwandelungen, wo sie nicht passen; so fordert er den Herzog von Burgund heraus, – in der sichern Gewissheit, dass letzterer es nicht annehmen werde. Es war aber nur ein romantischer Anflug, denn gleich darauf zeigt er sich, als die Gefahr am höchsten steigt, vollkommen rathlos zusammenbrechend und sich über die eigene Muthlosigkeit mit dem Spruche tröstend:

Ein finster furchtbares Verhängniss waltet
Durch Valois’ Geschlecht; es ist verworfen
Von Gott; der Mutter Lasterthaten führten
Die Furien herein in dieses Haus.

Nach Art solcher Naturen wälzt er also mit raschem und geschicktem Instinct die eigene Schuld überall auf andere.

Können wir uns aber mit Recht wundern, dass die kräftige Königin Isabeau, das stolze Mannweib, diesen so anständigen, kunstliebenden Sohn verachtet? Sie hat sehr gut die Perfidie herausempfunden, welche die stete Begleiterin solcher schwachen Naturen ist, die nie etwas festzuhalten wissen. Wie wenig Karl dies versteht, sehen wir unter anderm aus der Leichtigkeit, mit der er Orleans aufgeben will, und als ihm Dunois entgegenhält, dass sie alle bereit seien, sich für seine Sache zu erheben, denn

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/275&oldid=- (Version vom 1.8.2018)