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JOHANNA.
(Die Jungfrau von Orleans.)


So ohne ihresgleichen ist die Erscheinung dieses begeisterten Mädchens in der Geschichte, dass sie darum heute noch einen Gegenstand des Nachdenkens und der Bewunderung für den Staatsmann und Politiker ausmacht, wie des Enthusiasmus und der vollkommen gerechtfertigten Verehrung für jedes gefühlvolle Herz. Alle Aufhellungen, die dieser merkwürdigen Episode in der französischen Geschichte seither geworden sind, haben nur dazu gedient, den Eindruck des Wunderbaren nicht nur zu verstärken, sondern auch Schiller’s Auffassung der Johanna vollständig zu rechtfertigen, gegenüber der wahrhaft widerwärtigen Art, wie einzelne ihrer eigenen Landsleute sie zu einem Gegenstand des frivolsten Witzes, des gemeinsten Spottes gemacht haben, und besonders Voltaire sich ein vernichtendes Zeugniss seiner niedrigen Denkungsart in seiner berüchtigten Behandlung der „Pucelle“ ausstellte.

Die neuern geschichtlichen Forschungen bestätigen also, wie bemerkt, die Schiller’sche Darstellung der Jugendzeit, der wahrscheinlichen innern Entwickelung des Mädchens durchaus. Wir treffen sie in der Einsamkeit des Hirtenlebens, dessen Isolirung das Gemüth so sehr zum Nachdenken, zur Vertiefung in sich selber, zur Schwärmerei einladet, aufgewachsen, da ist sie jener hohen Begeisterung, jener glühenden Ekstase fähig geworden, ist ferner in der Notwendigkeit gewesen, bei ihrer Schutzlosigkeit in dieser Oede den verwegensten Muth auszubilden. Sie prangt in der Fülle der Jugend, der eben entfalteten Schönheit, ist in das Alter eingetreten, wo über das Schicksal der Jungfrau entschieden wird, wo sich ein unbestimmter Drang in ihr regt, der entweder wie bei der Mehrzahl der Frauen in der Liebe seine Erfüllung findet, oder bei einzelnen sich mit grenzenloser Begeisterung einem idealen Interesse, in gewöhnlichen Zeiten meist dem der Religion hingibt. Bei Johanna’s

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/266&oldid=- (Version vom 1.8.2018)