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MORTIMER.
(Maria Stuart.)


Wie die Eigenschaft, welche den Besitz Schiller’s für die Nation besonders so ausserordentlich werthvoll macht, seine kraftvolle Männlichkeit ist, darauf haben wir in unsern Erläuterungen schon mehrfach hingedeutet. Nirgends ist bei ihm eine Spur jener sonderbaren Mischung von Cretinismus und Genie, oder doch von weibischem Wesen zu entdecken, die uns so viele unserer Künstler nicht nur zweiter und dritter Klasse als krankhafte Austern erscheinen lässt, in denen das Talent die einzige Perle ist, und deren schwächliches Wesen so vielfach zu der Meinung beigetragen hat, dass die künstlerische Begabung überhaupt eigentlich eine Art von Krankheit sei, die ihren Besitzer mit Nothwendigkeit etwas verschroben und ungesund oder mindestens insipid machen müsse. An sich aber ist die künstlerische Gestaltungskraft gewiss nichts Unnatürliches, den Organismus Störendes, welches die Harmonie der Seele aufheben, ihre Energie schwächen müsste; im Gegentheil hat jeder grosse Mann etwas vom Dichter und Künstler an sich, ja diejenigen, die am weitesten vom Künstlerstand entfernt scheinen, die Feldherren und Staatsmänner, vielleicht gerade am allermeisten.

Die männliche Energie nun, der frische Muth, der ihm verliehen, sind die Eigenschaften, die uns auch mit Mortimer einigermassen aussöhnen, der sonst in keiner Beziehung unsere Theilnahme verdienen würde, trotz der verführerischen Gewalt der Sprache, die ihm der Dichter in den Mund legt, und die uns um so mehr nöthigt, unsere Ansicht über diesen Charakter möglichst scharf auszusprechen, – denn ausser jenen Vorzügen ist so ziemlich alles an ihm nichtswürdig. Sein Hauptcharakterzug ist die starke Sinnlichkeit; nicht nur seine Leidenschaft

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/250&oldid=- (Version vom 1.8.2018)