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MARIA STUART.
(Maria Stuart.)


Die schottische Königin hat es dem goldenen Zauberschleier der Poesie zu verdanken, den unser Schiller ihr um das reizende Haupt gewoben, wenn ihr Andenken mit aller Glorie des Unglücks und eines heroischen Todes vor uns steht. Der Dichter bringt in ihr die eigenste Natur des Weibes mehr zum Vorschein als in irgendeinem andern seiner Stücke. Indem er ihr ausser den gewöhnlichen Schwächen des Geschlechts auch noch eine gewisse Unbändigkeit beilegte, so erhöhte er gerade ihre Wirkung auf andere, indem er ihr gleichzeitig das Geschenk einer wunderbaren Schönheit und Anmuth des Geistes wie des Körpers verlieh, die alles dämonisch an sich zieht, während er auf ihre glückliche Nebenbuhlerin alle Schuld eines bösen Gemüths, alle Schmach eines zweideutigen Charakters, ohne irgendeinen versöhnenden Zug – sicherlich nicht mit Recht – häuft.

In solchem Masse hat der Dichter den Zauber dieser Holdseligkeit über die Unglückliche ausgegossen, sie durchdringt und verschönt alles so sehr, was sie sagt und thut, dass sie uns als das Ideal eines schwachen Weibes nur um so verführerischer erscheint, während er die leiseste Spur der gleichen Gabe der mehr männlichen Seele der Gegnerin versagt, und dadurch uns selbst besticht, mit ihm Partei für die schöne Unglückliche zu ergreifen; denn wer liesse sich nicht lieber von dem Reiz der Sinne bethören, als von dem trockenen Verstande leiten?

Hat seine Darstellung also Licht und Schatten zwischen den beiden Feindinnen sicherlich nicht mit historischer Gerechtigkeit vertheilt, so verschweigt er uns doch die Schuld Maria’s nicht, ja gleich im Eingang malt er uns dieselbe. Maria’s Amme selbst sagt von dem Verhältniss der Königin zu Bothwell:

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/234&oldid=- (Version vom 1.8.2018)