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DON CARLOS.
(Don Carlos.)


Carlos’ Naturell musste nothwendig aus Philipp’s Erziehungssystem hervorgehen; denn unter die verderblichsten Wirkungen des Despotismus, in welcher Form er auch auftrete, gehört die, dass sein eiserner Druck jedes selbständige Wachsthum zerstört, dass frühzeitig in die vorgeschriebene Form gezwängt, in seiner Sphäre sich kein starker Charakter gesund zu entwickeln vermag. So finden wir denn in dem Schiller’schen Carl – der in manchen nicht unwesentlichen Zügen von dem historischen abweichen dürfte – einen liebenswürdigen, hochsinnigen, feinen, reizbaren, eigensinnigen und capriciösen, edeln aber schwachen Menschen, gleich unfähig zum Thun wie zum Lassen, – jetzt verschlossen und mistrauisch, im nächsten Augenblick unvorsichtig und auffahrend, vor allen Dingen aber unthätig, improductiv und apathisch; denn da ihm keine freie Thätigkeit erlaubt ist, so freut ihn bald überhaupt keine mehr.

Das erste Bedürfniss des Mannes, das kräftigste Heilmittel für alle Krankheiten der Seele wie des Leibes ist die Arbeit. Das Ringen mit einer grossen selbstgewählten Aufgabe bringt ihn zum Bewusstsein seiner Kraft und stellt das richtige Gleichgewicht der Seele in ihm her. Dieses Heilmittel ist aber dem einstigen Erben zweier Welten versagt, seitdem er von der Hochschule zurückgekehrt ist, und mit ihrer Entbehrung beginnt auch die Verirrung seines Gemüths. Weil seiner Kraft gesunde Aufgaben nicht gestattet sind, so richtet sie sich mit krankhafter Leidenschaft auf die unnatürlichsten Ziele, der Wille wird zur Caprice; denn etwas anderes können wir in dieser Liebe des Königsohns zu der Mutter, die er ja nie nur halbwegs kennen gelernt hat, kaum erblicken. Elisabeth selbst sagt ganz richtig von ihr:

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/138&oldid=- (Version vom 1.8.2018)