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Die Sprache des Herzens aber wird im Moment der Leidenschaft der des Verstandes immer an Beredsamkeit so überlegen bleiben, als der Naturlaut der Volkspoesie der künstlichen Dichtung.

Ganz aber werden wir freilich diese philosophische Betrachtung, diese ausgeklügelte Casuistik wol nicht der sechzehnjährigen Geigerstochter zuschreiben dürfen: es ist die Subjectivität des Dichters selber, die hier und da fortgerissen von der Leidenschaft durchbricht und die Rede der handelnden Personen übernimmt; es ist der Student aus der Karlsschule, der bisweilen so überschwenglich und geistreich raisonnirt.

Deshalb, weil er einen Theil des eigenen Selbst malt, ist ihm auch die zügellose, überschäumende Leidenschaft des Ferdinand so vortrefflich gelungen, während er pathetisch und aufgeregt im höchsten Grade, wie er war, für die naive Schönheit der Sprache eines Bürgermädchens, wie sie uns Goethe im Gretchen so wunderbar malt, noch kaum ein Ohr hatte.

Werden wir also schwerlich glauben können, dass die wirkliche Luise so gesprochen hätte, so prägt sich die geniale Kraft des Dichters um so sicherer in ihrem Handeln aus, wo er die sanfte, mehr zum Dulden und Entsagen als Kämpfen geschickte Natur des Weibes wunderbar richtig herausempfindet, die überall sich an Pflicht, Gesetz und Herkommen halten, sich ihnen unterwerfen will, wenn sie auch ihr Herz zerreissen, da sie fühlt, dass sie doch der Schutz und Schirm ihres Geschlechts sind gegenüber der Leidenschaft und dem rohen Egoismus der Männer.

Dass Luise ihren Schwur, der doch nur gezwungen war, nicht bricht, das wäre vielleicht für ein heutiges Mädchen nicht richtig, wo auch in die untersten Klassen der Gedanke kecken Aufruhrs gegen göttliche und menschliche Gesetze gedrungen ist, also auch in der Seele eines gefolterten Mädchens auftauchen muss; damals aber war man jedenfalls noch nicht so weit, und die Idee des Selbstmordes lag der Verzweifelnden näher. Ebenso lässt uns eine Vergleichung der jetzigen mit der damaligen Zeit zu dem Schlusse kommen, wie das Verhältniss zu der Familie nicht minder als das zu Gott und dem Staat ein so

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)