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ihr Bücher aller Art gebracht hat, die jedenfalls den überschwenglichen Charakter der Literatur der damaligen Zeit trugen, ferner, dass eine alles erfüllende und beherrschende Leidenschaft aus jedem Menschen einen Dichter macht, seiner Rede etwas Emphatisches mittheilt; um wie viel mehr wird dies also bei einem schwärmerischen Mädchen der Fall sein müssen.

In der Stille und dem Frieden des häuslichen Kreises aufgewachsen, dringt die Leidenschaft zu dem höher stehenden Manne plötzlich in das bisher blos der Liebe zu Gott und den Aeltern hingegebene Herz und erfüllt es auf einmal ganz und ausschliesslich; sie vergisst, dass es noch Menschen, ja beinahe, dass es einen Gott ausser ihm gibt, der ihre ganze Seele ausfüllt; sie sieht keine Welt mehr und doch hat sie sie nie so schön gefunden, sie weiss nichts von Gott mehr und doch hat sie ihn nie so sehr geliebt. Drängt dieses Uebermass des Gefühls an sich schon auf einen schweren Ausgang hin, so ist es noch echt tragischer, dass nicht der Hass, sondern die Neigung es ist, die sie dem Untergang entgegenführt, und zwar um so mehr, je stärker sie ist, da ihr Vater, Wurm und zunächst Ferdinand ihr Unglück verschulden. – Die Roheit in der Sprache des letztern gegen die Geliebte, als er sie schuldig glaubt, was ohnehin mehr als leichtsinnig geschieht, wäre ohne den Hintergrund des Schwabenthums, in dem der Dichter noch so tief stak, gar nicht denkbar; bei aller sonstigen Tüchtigkeit sind aber die Schwaben noch heute sicherlich der am wenigsten ritterliche Volksstamm Deutschlands und die sociale Stellung der Frauen die schlechteste, die es gibt, obgleich sowol die Schönheit als der Geist und die natürlichen Anlagen der Schwäbinnen diese rohe Zurücksetzung in keiner Weise verdienen. Diese zeigt auch Luise, deren in der weiblichen Natur begründeten Schärfung des Blicks und der Intelligenz durch die Liebe wir es denn auch zuzuschreiben haben, wenn sie aus dem Wettkampfe mit der doch so gebildeten, durch alle Ueberlegenheit der Weltdame und ihrer raffinirten Dialektik glänzenden Lady als Siegerin hervorgeht, weil sie die Grösse, Macht und Tiefe des Gefühls besitzt, die ihr in diesem Augenblicke den rechten Ausdruck verleihen.

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/107&oldid=- (Version vom 1.8.2018)