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Arnold Schering: Beiträge zur Bachkritik

und Klavier, die 6. Violinsonate). Gerade hier wird sich der Kampf der Meinungen voraussichtlich heftig entwickeln, und Schreyer zu festeren, strengeren Formulierungen gezwungen werden. Seine Feststellungen streifen hier ans Schrullenhafte. Man vergleiche, was er schon im ersten Heft seiner „Beiträge“ über die sechste Violinsonate sagt. Die Gründe der Ablehnung als Original sind folgende: Die Sonate hat fünf Sätze; sie hat ferner einen Mittelsatz für Cembalo allein; ein Autograph ist nicht vorhanden! Drei prächtige Gründe! Und welche prächtige Methode, den Stil Bachs zu kritisieren! Die ganze herzliche Innigkeit des Largos, die fein stilisierte Wehmut des Klaviersolos, das prachtvolle, echt bachische Wechselspiel der Instrumente im Adagio, der Schwung des letzten Satzes, – das alles existiert für Schreyer nicht. Er übersieht, daß die Courante und die Gavotte im ersten Teil der „Klavierübung“ (Part. 6) mit Sätzen der 2. Bearbeitung dieser Sonate in Verwandtschaft stehen; er ist auch nicht auf den Gedanken gekommen, sich das ominöse da Capo, dem er so viel Wert beilegt, zu erklären oder die auffällige Satzzahl aus den Widersprüchen der vier handschriftlichen Überlieferungen herzuleiten. Dafür stehen boshafte Ausfälle gegen Spitta. Mit welcher Vorsicht man ihm trotz aller keck hingesetzten Urteile selbst auf dem ihm eigensten Gebiete, der Formenlehre, folgen muß, zeigt u. a. die Behauptung (II, S. 55), in der amoll-Fuge für Orgel (Peters Bd. 9) schweige während der zweiten Hälfte das Thema vollständig. Daraus wird der Komposition der Henkerstrick gedreht. Schreyer hat nicht bemerkt, daß die Fuge mit Takt 74 schließt, und daß das noch Folgende ein dem Präludium entsprechendes Postludium (Toccata) ist, in dem ein abermaliges Auftauchen des Fugenthemas sinnlos wäre. Trotz dieses Lapsus teile ich seinen Zweifel an der Echtheit.

Argumente endlich, denen man Berechtigung nicht versagen wird, die man sogar noch um einige wird vermehren dürfen, werden gegen die Kantaten Nr. 141, 142, 144, 146, 188 und die beiden italienischen „Amore traditore“ und „Non sa che sia dolore“ vorgebracht. „Amore traditore“ ist sicherlich ein Stück wertvoller Musik, aber nicht von Bach;

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Arnold Schering: Beiträge zur Bachkritik. Breitkopf & Härtel, Leipzig [u. a.] 1912, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schering_Bachkritik_1912.pdf/9&oldid=- (Version vom 2.10.2022)