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Arnold Schering: Beiträge zur Bachkritik

und glaubt, mit der Kenntnis von zwei, drei Originalen des Meisters genug zu haben, ihn unter die Pfuscher zu werfen und zu behaupten, Bach habe niemals mit ihm zu tun gehabt. Die alte Forkelsche, auch noch von Spitta adoptierte Legende, Bach habe an Vivaldis Konzerten „Klarheit und Plan im Aufbau“ lernen wollen, wird mit Behaglichkeit nochmals aufgetischt, obwohl schon vor Jahren die Ansicht geäußert wurde, daß solche Klavierbearbeitungen im Weimarer Kreise lediglich zum Zeitvertreib, gleichsam als ergötzliche „Klavierauszüge“ der berühmten Stücke angefertigt wurden[1]. Verkehrte und richtige Urteile stoßen sich in diesem Kapitel und können zu weiter nichts als zu einer erneuten, von Schreyer unabhängigen Prüfung der Verhältnisse anregen.

Sehr radikal geht der Verfasser ferner im Gebiet der Orgel- und Klavierwerke vor. Eine ganze Anzahl Stücke, namentlich in der Orgelmusik, an denen bisher so mancher Spieler gehangen hat, werden unbarmherzig ausgestoßen. Ein besonderes Bändchen wäre nötig, sollte auf eine Kritik seiner Kritik eingegangen werden. Hier kann nicht einer, hier müssen viele angreifen. Um das zu befördern, mögen wenigstens die nach Schreyers Ansicht unechten Orgelstücke kurz angeführt sein (nach der Petersschen Ausgabe): Bd. II, Nr. 1, 2, 3, 5; Bd. III, Nr. 9, 10; Bd. IV, Nr. 1, 2, 5; Bd. VIII, vier Konzerte, acht kleine Präludien und Fugen; Präludium Gdur, Fuge gmoll; Bd. IX, Fantasie und Fuge amoll; Fugen Gdur Nr. 2; 4; Cdur; Konzert Gdur; Choralbearbeitungen „Aus der Tiefe“, „Ach Gott vom Himmel“. Noch reichlicher sind die Ausscheidungen in der Klaviermusik, geringer die in der Kammermusik (die vier Flötensonaten, Fuge gmoll für Violine


  1. Im Feuereifer zitiert hier Schreyer auch falsch. Graf Waldersees Aufsatz in der Vierteljahrsschrift 1885 hat mit dem Nachweis, daß Bach auch andere als Vivaldische Violinkonzerte bearbeitete, nichts zu tun. Ferner: die Behauptung, der Bearbeiter (Bach) habe in keinem der 6 authentischen Konzerte Vivaldis am Aufbau der Komposition und an der Zahl der Takte etwas geändert, wird durch Stellen bei Waldersee (S. 372, 374: Ausstoßung eines Solos von 9½ Takten!) widerlegt, mithin als ein Zeichen der Unwissenschaftlichkeit gebrandmarkt. Der Aufsatz von C. Praetorius in Bd. VIII der Sammelbände der Int. Musikges. ist dem Verfasser entgangen.
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Arnold Schering: Beiträge zur Bachkritik. Breitkopf & Härtel, Leipzig [u. a.] 1912, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schering_Bachkritik_1912.pdf/8&oldid=- (Version vom 2.10.2022)