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Arnold Schering: Beiträge zur Bachkritik

bei Bach die Solopartien der drei Klaviere behandelt sind, weist direkt auf ein Konzert für drei Violinen mit Begleitung. Die Soli dieser scheinen ziemlich originalgetreu in die Oberstimmen der drei Klaviere übergegangen zu sein; denn nicht nur gehen diese Klaviersoli auffälligerweise nie unter das der Violine noch erreichbare g, sondern auch spezifisch violintechnische Eigenheiten sind konserviert. Am augenfälligsten tritt das auf S. 74 (Bd. 31 der B.-A.) hervor: hier bringen die drei Soloinstrumente in der Oberstimme drei selbständige Melodien – solche nämlich, wie sie bequem und ausdrucksvoll von drei Violinen ausgeführt werden können –, während die linken Hände der drei Spieler dazu dieselbe(!) Baßbegleitung haben. Bach konnte in der Tat keinen andern Ausweg ergreifen, wenn er die drei Violinsoli nicht umkomponieren wollte, als diesen; bei einem Originalkonzert wäre ihm das nicht in den Sinn gekommen. Noch deutlicher zeigt der zweite Satz das ursprüngliche Violinkonzertino, und auch der letzte Satz verleugnet es nicht. – Nun finde ich freilich weder unter Torellis, noch unter Vivaldis und Albinonis gedruckten wie handschriftlichen Konzerten das Original. Mir scheint auch – wegen des Ostinato im Adagio – keiner von diesen in Betracht zu kommen, sondern eher ein deutscher, d. h. italienisch beeinflußter Meister. Höchstens etwa Benedetto Marcello, dessen feine Arbeit und ausdrucksvolle Melodik sich von der der obengenannten zuweilen merklich abhebt. In allen drei Sätzen, so wird man voraussetzen dürfen, hat Bach bei der Bearbeitung Auszierungen, Melismen, Passagen eingefügt, auch wohl hier und da umformend eingegriffen [1].

Mit dem dmoll-Konzert für zwei Klaviere hat es wohl dieselbe Bewandtnis. Hier genügen aber Schreyers Worte,


  1. Schreyers Argumente gegen die Echtheit dieses Konzerts sind inzwischen von A. Heuß (Zeitschr. der Intern. Musikges., XIV. Heft 6) aufs schärfste zurückgewiesen worden. Indessen scheint mir auch Heuß nicht den richtigen Weg gegangen zu sein, wenn er sich in den Nachweis „echt bachischer Themenverarbeitung“ vertieft. Eine solche wird auch Schreyer wohl nicht in Zweifel stellen. Die Frage ist vielmehr: Ist der Grundplan der Komposition, die Thematik, die Modulation Bachschem Geist entsprungen, oder ist nur die Art der Bearbeitung sein Eigentum. Die letzte Möglichkeit zieht Heuß nicht in Betracht.
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Arnold Schering: Beiträge zur Bachkritik. Breitkopf & Härtel, Leipzig [u. a.] 1912, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schering_Bachkritik_1912.pdf/6&oldid=- (Version vom 2.10.2022)