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Zweites Kapitel.

Die „Moralkuh“.


Eine typisch Mannsche Novelle diene unserer AnalyseKulturgreisentum. zum Ausgang: ein mißgeborener Krüppel wohnt vor der Stadt im düsteren Gäßchen. Wagt er sich in die Straßen hinaus, dann höhnen johlend die Kinder hinter ihm drein, und die arme Seele wird giftig. Eines Tages findet er auf seinen Gängen einen kranken, jungen Hund von schöner Rasse. Der ist räudig und ganz jämmerlich anzuschauen. Er kauft den Hund und pflegt ihn. Er erlebt an dem Tiere alle Zärtlichkeit und Wärme, deren seine getretene Seele noch fähig ist. Er schwelgt im Gefühl, ein Gott zu sein für ein Geschöpf, das noch ärmer daran ist, als er selbst. Der Dialog des Elends mit dem Hunde wird zur tröstenden Gewohnheit. Da gesundet der Hund. Der Frühling kommt. Die gute Art regt sich. Er bellt, tobt und kapriolt durch die Gassen und kommt zu seinem defekten Herrn nur noch zu Gast. In dem regt sich Neid, Eifersucht und Enttäuschung. In einem Anfall von Verzweiflung ersticht er den schlafenden Hund, seinen einzigen Freund.


2.

Der seelische Vorgang dieser typisch Mannschen Novelle ist psychologisch wahr. Nun aber zittert ahnungslos in Thomas Manns Epik eine gefühlvolle Note entsetzlich unheldischer Schwächlichkeit! Anderer Wesen Freude neiden, weil man sich selber freudlos fühlt, den anderen bedrückt sehen wollen, weil man nicht genug Kraft hat, Glück zu verschenken, das ist das Wesen erkrankten Machtwillens. Jedes Gebrechen, das sich selber zu Markte trägt, will ich begreifend ehren. Aber sich selbst bemitleidenden Freudenhaß, der ein Bewußtsein eigener Unfruchtbarkeit am anderen rächt, den nenne ich schlechthin unsittlich. Diese Schwächlingsnote aber ist für Mann „spezifisch“. Ich deute auf den toten Punkt in Thomas Manns artistischer Psyche!

Ich muß, mit gebotener Ehrfurcht; davon reden, weil Manns moralisch getöntes Grollen gegen derbe Drastik, lachende Kapriole und frische Gaminlaune aus gleichem Flutschacht der Seele quillt, wo der Freudenneid durchlöcherter Menschen lauert. All die moralische „Entrüstung“ gegen natürlichen Wagemut und die artistelnde, von Natur humorlose Vergnügtheit eines in satter Sonne aufgekratzten Kulturgreises.