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bewußteren Typ des Poeten mir zuerst vor die Seele brachte. Dieser Herr aus „besser bemittelter Gesellschaft“, so dürftig-konventionell, mit dem alltäglichen Gesicht guterzogener Dandy auf schmächtig – grazilem Figürchen, war Künstler-Dichter.. Meine Unreife aber lockte damals ein ander Ideal: Die neu-pathetische Genossenschaft sozialer Anarchisten,.. Menschenhelfer, Priester-Dichter.. Die beste deutsche Prosa schreiben und an einer Buchseite feilen, wie an schön gemachtem Spangengeschmeid ein Goldschmied, fremde Kulturen aufnehmen und das Leben als Gelegenheit schöner Selbstzucht leben, ach, wie fern lag ingrimmigem Bluterwillen brutal-jugendlichen Einreißertrotzes solch edel-griechisches Anbild! Dieser etwas feminine, dekadente Patriziersohn mußte mich in meinem Haß auf Bürgerallure als geschmacklos empfinden, oder gar als unangenehm. Er aber schien mir nur fern.


3.

Nach dieser Begegnung las ich von ihm köstliche kleine Novellen, bezaubernd mit wehmütig süßem Reiz. Abendliche Träne zitterte darin, der Seele zarteste Flutung, die nie sich zu Entschiedenheit tätiger Leidenschaft aufgipfelte. Der Gefühle Wellengekräusel offenbarte nicht Aufschwung und einsame Größe, aber zarte, mir artfremde Köstlichkeiten, wie der neueren österreichischen Dichter. Ich las mehr, las alles. Und immer wieder stand, auch in späteren Jahren, jenes Jugendbild vor mir: betrachtend saß er da, auf vergoldeter Stuck-Empore, einsam unter seinem Lorbeerkübel...


4.

Beim großen Lebensfest tanzte er nicht mit. Er blickte, jung schon lorbeergekrönt, Weinerlichkeit unter guten Formen bergend, mit hungrig-heimsüchtigen Augen verächtlich auf die Welt, die er beneidete. Mir wurde er zum epischen Berichterstatter über Seelendinge, die ich Unerlöster litt. Er aber litt nicht. Weder Reue, noch Mitleid. Er goutierte wehmütig bespiegelnd seine Schmerz-Emotiönchen. Nie fühlte ich ihn einverschlungen in starkes Leben. Er schwärmte nie darin, sondern dafür. Er stand draußen, dürftig angezärtelt und ästetelte. Aber sein Schönstes war die heiße junge Sehnsucht, hinüberzukommen... auf die andere Seite.