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Heimatnest kommend in München mich besuchte. Bewußt übertreibend, aber mit Wahrheit der ästetischen Karikatur. Diese Burleske verstimmte mancheinen. Es war zu erwarten. Was aber nicht zu erwarten stand, war die unglaubliche Auslegung, die man dem Falle gab. Der Karikierte trat mit der unmotivierten Behauptung vor, es handle sich um „Rache“, denn ich hätte mit seiner parodierten Person ein Renkontre gehabt. Ich bitte seither vergeblich, meinem sonst guten Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen... Andere literarisch Schaffende mischten sich ein. Sie schrieben nicht, was ich ruhig hingenommen hätte, daß meine Arbeit, sondern daß mein Charakter schlecht sei. Sie schrieben nicht, daß sie mit der Satire nicht übereinstimmen, sondern: „dieser Pamphletist ist ein erbärmlich Subjekt“! Und während ich von allen Seiten Prügel bekam wie ein Kind, das nicht versteht, warum die Großen schimpfen, legte man mir jede hämische Moralität unter, und rief empört nach einem „literarischen Ehrengericht“, Unterschriften sammelnd zu einer Entrüstungskundgebung „aller anständigen deutschen Schriftsteller“.


2.

Ich setze den Fall, treffliche Ehrenrichter wüßten aus Kunstgeschichten nicht von Rembrandts Werk. Ihnen begegnete irgendwo das Spötter-Bild, welches den kleinen Ganymed zeigt, von Jupiters Adler entführt, das Knäblein halb spielend, verängstigt, halb über flatternder Wolke, ein schön gemalt Notwässerchen auf die Erde sendend... Was wäre die Folge? Ein Entrüstungsmeeting jener Anständigen, die von Dichtern, Künstlern, Philosophen bekanntlich nur dann Notiz nehmen, wenn diese Anlaß geben zum Moralisch-Entrüstetsein. Denn jedes Ehrengericht kann nur die einzelne Leistung betrachten. Diese wiegt aber in Kunst und Philosophie als dem Ausdruck der Menschenseele mit tausend Widersprüchen wenig. Indizienbeweise gelten nicht. Bei literarischen Prozessen wird daher die dem Wesen der Geistigkeit fremdeste Methode geübt. Man urteilt über Menschen nach der Sentenz, und es kann geschehen, daß man ein Leben vernichtet, weil einer einflußreichen Persönlichkeit ein Zitat nicht gefällt. Der Musikliebhaber stelle sich vor, jemand wolle seine Ablehnung Mahlers oder Regers damit begründen, daß er Dissonanzen eines modernen Tonstücks dem Publikum auf dem Klavier vorführt. Das Volk würde die Tonsetzer steinigen. Hat