Diese Welt ist gleichsam der Vorhof der künftigen Welt.
Bereite dich im Vorhof darauf vor,
daß du in den Speisesaal eintreten kannst!
Besser eine Stunde in Buße und guten Werken auf dieser Welt
als alles Leben in der künftigen Welt.
Besser eine Stunde der Erquickung in der künftigen Welt
als alles Leben in dieser Welt.
Such deinen Freund nicht in der Stunde seines Zornes zu besänftigen!
Tröste ihn nicht, wenn sein Toter vor ihm liegt!
Frag ihn nicht, wenn er sein Gelübde erfüllt!
Wünsche ihn nicht in der Stunde seiner Erniedrigung zu sehen!
Fällt dein Feind, dann freu dich nicht!
Strauchelt er, sei nicht fröhlich!
Es könnte dem Herrn, der es sieht, mißfallen
und er dann seinen Zorn von ihm wenden.
Wem gleicht, wer in der Jugend lernt?
Der Tinte, auf frisches Papier geschrieben.
Wem gleicht, wer erst im Alter lernt?
Der Tinte, ans radiertes Papier geschrieben.
Wem gleicht, wer von Jungen lernt?
Dem, der unreife Trauben ißt
und davon Wein aus der Kelter trinkt.
Wem gleicht, wer von Alten lernt?
Dem, der reife Trauben ißt
und alten Wein trinkt.
Merk nicht auf den Krug,
sondern auf seinen Inhalt!
Es gibt neue Krüge voll alten Weins
und alte, worin nicht einmal neuer Wein ist.
Neid, Wollust und Ehrgeiz
bringen den Menschen aus der Welt.
Die Geborenen sind dazu da, daß sie sterben,
die Gestorbenen, daß sie wieder lebend werden,
diese Lebenden, daß sie gerichtet werden.
Man soll erkennen, wissen und erfahren,
daß Gott der Bildner, der Schöpfer, der allwissende Richter,
Zeuge, Kläger und zukünftiger Richter ist!
Vor seinem Angesicht gibt es weder Unrecht noch Vergessen
noch Ansehen der Person noch Bestechung.
Alles ist ja sein.
Paul Rießler: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel. Filser, Augsburg 1928, Seite 1072. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Riessler_Altjuedisches_Schrifttum_ausserhalb_der_Bibel_1072.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)