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Text von Wilhelm Tappert: Richard-Wagner-Galerie

Erda, die Seherin, hat dem Wotan warnend zugerufen:

Ein düst’rer Tag
dämmert den Göttern!
Dir rath’ ich, meide den Ring!

Um den feindlichen Mächten in Zukunft Widerstand leisten zu können, kiesen die neun Wotanstöchter, die Walküren menschliche Helden, im Kampfe gefallen, sie reiten auf den Schlachtfeldern und bringen die Erschlagenen nach Walhall, der Götterburg. Wotan möchte dem trägen Fafner das Gold entreissen, um der Sorge um das Schicksal der Welt und der Götter ledig zu sein, er darf die Verträge nicht brechen. Ein Held ist nöthig, der ohne die Unterstützung der Götter aus eigener Noth und mit eigener Kraft den Drachen tödtet und des Ringes sich bemächtigt. Ein menschlicher Kämpe soll die Götter Walhall’s befreien. Unter dem Namen Wälse begibt sich Wotan unter die Menschen und vermählt sich mit der Tochter eines Erdensohnes; dieser Ehe entsprosst das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde. Mit dem Sohne zieht er auf Abenteuer aus, sie verrichten grosse Thaten und Feinde erwachsen ihnen von allen Seiten. Die Mutter wird während ihrer Abwesenheit erschlagen, die Tochter geraubt, das Haus verbrannt. Wälse und Siegmund fliehen als Geächtete in die Wälder. Sieglinde wurde die Frau eines ungeliebten Mannes, gar traurig sass sie am Hochzeitstage neben ihrem Gatten Hunding. Da trat ein Fremder herein, seines einen Auges Strahl schuf allen Männern Angst; er stiess ein Schwert in den Stamm der Esche und sagte: dem solle das Schwert gehören, der es herauszöge. Keiner vermochte es. Sieglinde hatte ihren Vater erkannt, geduldig trägt sie ihr trauriges Loos, wissend, dass sie einst dem angehören wird, der das Schwert aus dem Stamme löst.

Unterdess hat Siegmund die Spur seines Vaters verloren, als geächteter wird er verfolgt, hart bedrängt von denen, die ihm Feinde sind und Rache geschworen haben, als Wehrloser muss er endlich fliehen. Gehetzt wie ein Wild geräth er am Abend an Hundings Haus. Auch dieser ist zum Kampfe gegen ihn ausgezogen. Sieglinde erquickt den zum Tode Erschöpften, von ihr erfährt er, dass sie vermählt sei, ohne zu lieben. Die Theilnahme des Helden verwandelt sich in menschliche Sehnsucht. Der heimkehrende Hunding erkennt den, an welchem er Blutrache zu nehmen hat, er gewährt ihm den Schutz des gastlichen Daches nur bis zum Morgen. In grosser Aufregung verbleibt Siegmund allein am erlöschenden Herdfeuer zurück.

Ein Schwert verhiess mir der Vater,
Ich fand es in höchster Noth. –
Waffenlos fiel ich
in Feindes Haus:
Wälse! Wälse!
Wo ist mein Schwert?

Der letzte Strahl der erlöschenden Gluth fällt auf die Stelle des Eschenbaumes, wo der Schwertgriff haftet. Sieglinde erscheint im weissen Gewande, sie hat ihrem Gatten einen Schlaftrunk gereicht. In dem Fremden vermuthet sie den Mann, den Wälse ihr einst zugesagt; sie erzählt ihm von dem Schwerte, von ihrem Leben, ihrer Ahnung und ihren Hoffnungen.

Da wird es hell in Siegmunds Seele, er empfängt das ihm bestimmte Weib mit feuriger Gluth. Die Thür springt auf, draussen ist die herrlichste Frühlingsnacht:

„Siehe, der Lenz lacht in den Saal!“

Mit gewaltigem Ruck zieht Siegmund das Schwert aus dem Stamme und mit bräutlicher Liebe sinken die Geschwister einander in die Arme.



Empfohlene Zitierweise:
Text von Wilhelm Tappert: Richard-Wagner-Galerie. Hanfstaengl’s Nachfolger, Berlin 1876, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Richard-Wagner-Galerie.pdf/91&oldid=- (Version vom 1.8.2018)